Nachhaltigkeit und der Einsatz ungewöhnlicher Materialien Mode aus Fasernessel und Airbags

Ist Baumwolle nachhaltig? Welche Alternativen gibt es? Jungdesignerin Gesine Jost aus Düsseldorf macht Mode aus Brennnesseln oder ausgemusterten Airbags. RWTextilservice hat sie in ihrem Atelier besucht und mehr über Upcycling, Produktion von Fasernessel u.a. erfahren.3 „Schlage nur so viel Holz ein, wie der Wald verkraften kann! So viel Holz, wie nachwachsen kann!“ Mit dieser Aussage formulierte Hans Carl von Carlowitz (1645 bis 1714) erstmals das Prinzip der Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft. Heute – gut 300 Jahre später – ist der Gedanke der Nachhaltigkeit in aller Munde. Auch in der Textil- und Bekleidungsbranche spielt diese Entwicklung eine große Rolle. So wird nicht nur zunehmend darauf Wert gelegt, dass gute Arbeitsbedingungen gesichert sind. Auch wird vermehrt über den Einsatz ökologisch verträglicher Materialien, also nachhaltiger Rohstoffe, nachgedacht; allerdings ohne das verstaubte und triste Öko-Image der 80er wieder aufleben zu lassen. Entwickelt wird nachhaltige Mode am Puls der Zeit. Nachhaltigkeit von Baumwolle in der DiskussionBaumwolle ist der bedeutendste nachwachsende Textilrohstoff der Welt. Gut 25 Millionen Tonnen werden jährlich angebaut. Als vollständig biologisch abbaubare Naturfaser ist Nachhaltigkeit der Baumwolle somit quasi in die Wiege gelegt – eigentlich. Denn beim konventionellen Baumwollanbau wird z.B. viel über den Einsatz großer Mengen von Pflanzenschutzmittel diskutiert. Neben der Bekämpfung der natürlichen Feinde der Baumwolle haben die eingesetzten Insektizide, Herbizide und Fungizide auch Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Umweltorganisationen sprechen davon, dass durch die Verwehung der Pestizide nicht nur das Ackerland die „chemische Keule“ erhält. Auch Böden wie Gewässer in der Umgebung der Plantagen und somit auch Grund- und Trinkwasser werden belastet. Durch den kontrollierten biologischen Anbau von Baumwolle soll dies verhindert werden. Der Anbau erfolgt ohne synthetische und chemische Düngemittel sowie in einer gewissen Fruchtfolge. Das bedeutet, dass der Boden nicht einseitig genutzt wird und dadurch weniger an Nährstoffen verliert. Nur alle drei Jahre wird Baumwolle auf demselben Feld angepflanzt. In der Zwischenzeit werden andere Bioprodukte angebaut, wodurch den Bauern auch noch eine Sicherung der eigenen Ernährung gewährleistet wird. Da beim biologischen Baumwollanbau die Böden einem geringeren Nährstoffverlust ausgesetzt sind, dörren sie auch weniger aus und müssen infolgedessen weniger bewässert werden als beim herkömmlichen Anbau. Denn auch über einen außerordentlich hohen Wasserbedarf beim Baumwollanbau wird ständig diskutiert. Welche Alternativen zu Baumwolle gibt es? Darüber hat sich auch Jungdesignerin Gesine Jost aus Düsseldorf Gedanken gemacht. Sie liebt die Natur ebenso wie die Mode und hat mit ihrer Kollektion aus ungewöhnlichen Materialien beides in Einklang gebracht. Auch wenn bereits aus dem frühen Mittelalter berichtet wird, dass Brennnesselfasern für Segel, Tauwerk und Bekleidung verwendet wurden, denkt man nicht als Erstes an Pullover, Strickjacken, T-Shirts, Röcke und Mäntel, wenn man das „Unkraut“ am Straßenrand oder im Vorgarten sieht. Der erste Gedanke richtet sich eher an die juckenden Quaddeln, die auf der Haut entstehen, wenn man mit den sogenannten Brennhaaren in Kontakt kommt. Weiter gedacht kommt man ggf. noch auf die heilende Wirkung von Brennnesseltee und den Einsatz des Suds gegen Blattläuse. „Brennnessel ist aber viel mehr als das und eine tolle naturschonende Alternative zu Baumwolle“, erklärt Jost, die Anfang 2016 eine Kollektion aus Stoffen mit Brennnesselfasern auf den Markt gebracht hat. Die Fasernessel rückt in den FokusDie Brennnessel ist eine eher anspruchslose Pflanze. Sie wächst auf nahezu jedem Boden, der nicht zu trocken, zu salzig oder sehr nährstoffarm ist, und laugt ihn nicht aus. Im Gegensatz zu Baumwolle hat die Fasernessel keine natürlichen Feinde. Sie kann also ohne den Einsatz von Pestiziden angebaut werden. Der Faseranteil liegt allerdings bei wilden Pflanzen lediglich bei maximal fünf Prozent, was einen Bruchteil von dem von Baumwolle darstellt. Er kann jedoch durch Züchtungen auf bis zu 20 Prozent erhöht werden, der Ertrag ist damit aber immer noch gering. Insgesamt sind der Anbau und die Fasergewinnung also nicht ganz so einfach. Denn die faserreichen Pflanzen lassen sich nur über Stecklinge vermehren und nicht wie Baumwolle über die Aussaat von Samen. Das bedeutet, dass die Kosten für die Anpflanzung vergleichsweise hoch liegen. Diese müssen sich über die Nutzungsdauer rechnen, was die Standortfrage dann doch relevant macht. Der optimale Boden ist tiefgründig, humos und nährstoffreich. Da es sich um eine Bastfaser handelt, muss die Faser zur Gewinnung von den restlichen Pflanzenbestandteilen gelöst werden. Der Stängelaufbau der Brennnessel unterscheidet jedoch erheblich von dem der für Bekleidung bereits etablierten Bastfaser Leinen. Die Brennnesselfaser ist schwieriger zu gewinnen. Das sogenannte „Aufschließen“ geschieht noch überwiegend in Handarbeit. Gewonnen wird verhältnismäßig heterogenes Fasermaterial, was auch die Möglichkeiten der Weiterverarbeitung zu Garnen und textilen Flächen beeinflusst (siehe dazu auch Kasten „Story of Nettle“). Die Hürden beim Anbau und der Fasergewinnung begründen u.a., dass der Marktanteil an Textilien aus Nesselfasern bisher noch nicht sonderlich hoch ist. Im Übrigen ist die Nessel nicht mit dem gleichnamigen Baumwollrohgewebe zu verwechseln. Unter Nessel wird in dem Fall ein leinwandbindiges Rohgewebe verstanden, das vielfach für Erstmuster, aber auch für Unterpolsterungen etc. eingesetzt wird. Forschungsprojekt zur FasergewinnungGesine Jost sieht in der naturweißen Faser viel Potenzial. Zusammen mit dem Maschenstoffhersteller Mattes & Ammann arbeitete sie an einem Forschungsprojekt, in dem ein industrielles Verfahren für die Fasergewinnung und die Bekleidungstauglichkeit entwickelt wurde. Die Verarbeitung zu Stoffen aus 100 Prozent Brennnessel ist dabei eine Innovation. In einer Mischung mit Baumwolle, natürlich aus kontrolliert biologischem Anbau, oder mit Viskose lassen sich Stoffe vergleichsweise einfacher herstellen. Gemeinsam mit ihrem Projektpartner hat Jost die Brennnesselfasern so bereits zu weichen, leicht glänzenden, feinen und glatten Maschenstoffen verarbeitet und Anfang 2016 im Rahmen ihrer Masterarbeit im Fachbereich Design-Ingenieurwesen Mode an der Hochschule Niederrhein eine Kollektion unter ihrem Namen entworfen. Die von Jost eingesetzten Brennnesselstoffe haben eine gute Reißfestigkeit und können deshalb als besonders strapazierfähig und langlebig bezeichnet werden, was wiederum dem Nachhaltigkeitsgedanken gerecht wird. Diese Eigenschaften machen sich auch in Bezug auf die Pflege bemerkbar. Maschenstoffe aus einem Gemisch aus Brennnessel/Baumwolle oder Brennnessel/Viskose lassen sich in der Regel auf ähnlich unproblematische Weise pflegen wie Stoffe aus reiner Baumwolle bzw. Viskose. Auch das Feuchtigkeitsaufnahmevermögen ist mit den Fasern auf Zellulosebasis vergleichbar. Allerdings ist dabei zu beachten, dass diese neuartigen Stoffe keine chemischen Ausrüstungen erhalten, wie es bei Stoffen aus Baumwolle oft der Fall ist. Häufig werden z.B. Kunstharze verwendet, um die Pflegeleichtigkeit, insbesondere in Bezug auf das Bügelverhalten, zu erhöhen. Der Einsatz derartiger Chemikalien ist jedoch in dem Zusammenhang mit nachhaltiger Mode tabu. Auch andere Unternehmer planen, ökologische Alternativen zu Baumwolle nach vorne zu bringen. So beispielsweise – der Zeitschrift „TextilWirtschaft“ zur Folge – der Elsässer Pierre Schmitt. Er zeichnet u.a. verantwortlich für den Erfolg von Velcorex, bekannt für Cord, Samt und Sportswearstoffe, sowie von Emanuel Lang, einem Spezialisten für hochwertige Hemdenstoffe und Tissages des Chaumes (TDC), seit Coco Chanels Zeiten ein Lieferant für Tweed der Marke Chanel. Im Gegensatz zu Gesine Jost, die ausschließlich Maschenwaren aus Brennnessel verarbeitet, gehören zu Schmitts Visionen Hemden aus dem Fasermaterial. Also müssen Gewebe daraus hergestellt werden. Ein zunächst noch wenig erforschter Bereich. Wiederverwertung statt NeuproduktionNeben den vermehrten Überlegungen, Faserstoffe, die zunächst für den Einsatz in Bekleidungstextilen unüblich sind, für Mode einzusetzen, kommt auch dem Thema Upcycling ein immer höherer Stellenwert zu. Abfallprodukte bzw. nach der ursprünglichen Verwendung scheinbar nutzlose Stoffe werden aufgewertet und daraus neuwertige Produkte mit vollständig anderer Funktionalität hergestellt. Auch diese Art der Wiederverwertung von bereits vorhandenem Material trifft den Zeitgeist der Nachhaltigkeit, da sie die Neuproduktion von Rohmaterialien reduziert. Dieses Thema beschäftigt die Düsseldorferin Gesine Jost ebenfalls und sie gewann mit der Verwandlung von Schrott in tragbare Mode bereits 2012 den German Lifestyle Award. In der Kategorie „Nachhaltigkeit“ überzeugte sie mit ihrem Projekt „Materialtransformationen“. Bei dem von ihr verwendeten „Schrott“ handelt es sich z.B. um ausgemusterte Airbags. Sie stellt aus dem robusten, pflegeleichten Polyamidgewebe Lifestylejacken her. Zu ihrer Kollektion, die zur Ressourcenschonung und Energiereduktion beiträgt, gehören des Weiteren u.a. aus Anschnallgurten gefertigte Gürtel und Armbänder und diverse Accessoires aus Kabeln. Die Entwicklung weiterer Produktfunktionalitäten ist geplant. Es bleibt spannend zu sehen, was sich in Zukunft noch alles an nachhaltigen Textilien in den Kleiderschränken und den Textilpflegebetrieben einfinden wird. Infos: www.gesinejost.de www.gesinejost.de