Textilmuseum St. Gallen, Schweiz Neue Ausstellung rund um technische Textilien

Technische Textilien sind kaum bekannt und doch unerlässlich in Sport, Architektur, Medizin, Mobilität und vielen anderen Bereichen des täglichen Lebens. Das Textilmuseum St. Gallen würdigt die "heimlichen Helden" des Alltags und widmet ihnen die erste Überblicksausstellung im deutschsprachigen Raum.

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Das Textilmuseum St. Gallen bietet den Besuchern in seiner neuen Ausstellung viel Wissenswertes und Kurioses rund um technische Textilien. Im Vordergrund steht z.B. ein Faltboot der Firma Klepper. Was viele nicht wissen: Der aus einem zerlegbaren Gerippe bestehende Bootskörper ist mit einem textilen Gewebe überzogen. - © Jürg Zürcher

Im Textilmuseum St. Gallen dreht sich ab sofort alles um das Thema "Neue Stoffe". In der Ausstellung "New Stuff – Gestalten mit technischen Textilien", die bis einschließlich 2. April 2018 in St. Gallen zu sehen sein wird, steht damit eine eher unbekannte Seite der Textilproduktion im Mittelpunkt. Jenseits von Mode und Innenausstattung eröffnet sich den Besuchern das weite Feld der Technischen Textilien und Smart Textiles mit ihren vielfältigen Einsatzmöglichkeiten.

Die Schau unterläuft nach Unternehmensangaben die gewohnten Sichtweisen auf Textilien. Selbst bekannte textile Techniken und Materialien sollen in völlig ungewohnten Anwendungsbereichen und Kombinationen auftreten.

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Die Karosserie des BMW 301i 3 besteht aus Karbon, was das Gewicht des Fahrzeugs erheblich reduziert. - © Jürg Zürcher

Wie z.B. die Carbonfaser-Karosserie des BMW301i, die auf den ersten Blick mehr nach Kunststoff als nach Faser aussieht, ebenso wie die Innenverkleidung eines Autos der Firma Bcomp. Verwendung finden die ausgestellten Textilien in Medizin und Wellness, im Fahrzeugbau, in der Architektur oder der Energiegewinnung.

Alles rund um Textilien

Nach einem Rückblick auf die lange Geschichte der Funktionstextilien dreht sich in der Ausstellung alles um bekannte und unbekannte Fasern und Materialien, ihre Verarbeitung und die Anwendungsmöglichkeiten der "Neuen Stoffe" in unserem Alltag.

Die Ausstellung will belegen, dass die moderne Welt weit "textiler" ist als allgemein vermutet. Für Michael Fehr, Kurator der Ausstellung, lässt sich die Bedeutung der "Neuen Stoffe" leicht erklären, vereinen sie doch Qualitäten in sich, die heute gefragter sind als je zuvor:

Sie sind im Vergleich zu anderen Materialien leicht, fest, sehr flexibel sowie gut und vielfältig ver- und bearbeitbar.

Faserbasierte Werkstoffe leisten einen Beitrag zur Umwelt

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Auch im medizinischen Bereich finden technische Textilien Anwendung. Transplantate und Prothese werden heute vielfach aus textilen Stoffen gefertigt. - © Jürg Zürcher

"Bei der richtigen Kombination von Material und Verarbeitungstechnik ist fast alles möglich", sagt Fehr.

Deshalb reiche das Anwendungsspektrum auch von stabilen, leichten Autokarosserien über Fassadenverkleidungen bis zu winzigen Filtern in Handys.

Im medizinischen Bereich z.B. existiert durch die Verwendung moderner Fasern für den menschlichen Körper bereits ein Ersatzteillager aus textilen Implantaten für das Skelett, Stents, textilem Herz und Knochen-Scaffolds.

In der Ausstellung ist u.a. der von den Hohenstein Instituten entwickelte künstliche Uterus "Artus" zu sehen sowie eine Kühlweste, die an Multipler Sklerose leidenden Patienten das Leben erleichtern soll.

Ausstellung: Neue Stoffe - Gestalten mit technischen Textilien

Geöffnet vom 23. August 2017 bis 02. April 2018, täglich von 10 bis 17 Uhr.

Textilmuseum St. Gallen, Vadianstrasse 2, CH-9000 St. Gallen, E-Mail: info@textilmuseum.ch, Telefon: +41 71 228 00 10

Zur Ausstellung erscheint bei Hier und Jetzt Verlag für Kultur und Geschichte der gleichnamige Katalog .

Informationen zum Rahmenprogramm gibt es auf der Website des Textilmuseums .

In Zeiten knapper und teurer werdender natürlicher Ressourcen ist das Nutzen von Einsparungspotenzial wesentlich und dazu tragen Textilien oder faserbasierte Werkstoffe, wie sie von Technikern bevorzugt genannt werden, ihren Teil bei.

Textilien können herkömmliche Werkstoffe ersetzen

Besonderes Augenmerk legt die Forschung auf Anwendungen, mit denen Nachteile herkömmlicher Werkstoffe und Techniken überwunden werden können oder die für absehbare Probleme Lösungsmöglichkeiten erwarten lassen.

Fehr bringt ein Beispiel aus der Raumfahrt: Indem in Raumfähren die Befestigungsgurte aus Polyester durch solche aus Zylon ersetzt wurden, die 25 kg weniger wiegen, verringern sich die Kosten pro Flug um 1.25 Millionen Dollar. Die von der Schweizer Firma Cortex Hümbelin AG entwickelten Gurte sind in der Ausstellung natürlich zu sehen.

Schweiz ist elementar bei der Entwicklung neuer Produkte

Um neue Produkte zu entwickeln, arbeiten Textilfirmen eng mit Spezialisten verschiedener technischer Disziplinen zusammen, weiß Peter Flückiger, Direktor von Swiss Textiles. Deswegen spielt die Schweiz mit ihrer langen Textiltradition international eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung neuer Produkte.

Ein Beispiel für diese Kooperationen bewirbt vor dem Museum die Ausstellung: Die große animierte Fahne entstand in einem traditionsreichen St. Galler Stickereibetrieb, der Forster Rohner AG, welche die Stickerei aus leitenden Fäden und LEDs mit Unterstützung der KTI (Kommission für Technologie und Innovation) sowie verschiedener Schweizer Forschungsinstitute entwickelte.

Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Textilien

Die Bedeutung der Technischen Textilien innerhalb der Schweizer Textilindustrie macht sie für das Textilmuseum St. Gallen de facto zu einem Pflichtthema, setzt sich das Haus doch mit Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Branche auseinander.

Laut Michaela Reichel, Direktorin des Hauses, war es eine ungeheuer spannende Aufgabe, diese ungewohnte, hochtechnische Welt zu erobern, denn "wir mussten völlig umdenken und den Begriff ‘Textilien’ in seiner Gesamtheit begreifen". Es dauerte doch eine Weile bis man verinnerlicht, dass auch ein Maschenzaun aus Metall aufgrund der Herstellungstechnik ein Textil ist.

Voraussetzung für die Arbeit an diesem Thema war die Kooperationsbereitschaft der Produzenten, Universitäten und Forschungsinstitute, die Informationen zur Verfügung stellten und komplizierte Technologien erklärten. So entstand eine Ausstellung, die sich als Erste im deutschsprachigen Raum umfassend mit "Neuen Stoffen" auseinandersetzt.

Eine Ausstellung aus Textilbeton

Das deutsch-mexikanische Architekturstudio Zeller & Moye entwickelte die Szenografie der Ausstellung. Christoph Zeller und Ingrid Moye verwendeten für die Ausstellungsarchitektur Textilbeton. Sie wählten mit diesem Abstandsgewirke verfüllt mit Betonstaub ein Industrieprodukt, das für Anwendungen im Aussenraum wie zur Böschungssicherung, zur Wasserführung und auch zum Bau von Notunterkünften entwickelt wurde.

In ihren Entwürfen kommt es erstmals in grösserem Umfang im Möbelbau zum Einsatz. Sie formten daraus die schlanken, aber stabilen Möbel der Ausstellung. "Neue Stoffe" ist die erste selbstständige Arbeit des Architektenteams in der Schweiz nach ihrer langjährigen Tätigkeit bei Herzog & de Meuron in Basel, für die sie das Tate Modern-Projekt betreuten.

Partner der Ausstellung

Die Ausstellung wird in Kooperation mit folgenden Institutionen ausgerichtet:

Carbon Composites Schweiz, Empa St. Gallen, HS Luzern - Design & Kunst, weißensee kunsthochschule berlin, Schweizerische Textilfachschule STF, Swiss Textiles, Westsächsische Hochschule Zwickau Angewandte Kunst Schneeberg, Material Archiv.