Bekleidung im Weltraum Auf den Kopf gestellt

Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Diese Weisheit trifft in jedem Fall auf die Raumfahrt zu. Wenn Menschen die Erde verlassen, um den Weltraum zu erkunden, gelten in vielerlei Hinsicht andere Spielregeln als auf der Erde. Das betrifft unter anderem die an Bord der Raumfahrzeuge getragene Bekleidung und deren Aufbereitung.

Reinhold Ewald (2. v.l., unten) ist seit 1983 in der Weltraumerforschung tätig. Im Jahr 1997 war er als Kosmonaut auf dem russischen Raumschiff Soyuz TM-25 und verbrachte 18 Tage auf der russischen Raumstation Mir. Foto: ESA

Auf den Kopf gestellt

Sechs Monate im All und Arbeiten in der Schwerelosigkeit sind für jeden Astronauten eine körperliche Herausforderung. Denn wenn die Erdanziehungskraft fehlt, werden die Muskeln nicht ausreichend trainiert. Um den Muskelabbau zu minimieren, absolvieren Astronauten daher täglich ein intensives Sportprogramm. Darüber hinaus tragen sie bei bestimmten Arbeiten einen von der European Space Agency (ESA) entwickelten Spezialanzug, der dank eingearbeiteter Gummizüge die Schwerkraft nachahmt. Will ein Astronaut seinen Arm heben, setzen die Gummibänder der Bewegung einen Widerstand entgegen. Für diese Tätigkeit muss man also Kraft aufbringen, die in der Schwerelosigkeit normalerweise nicht benötigt wird.

Schwebstoff

Astronauten tragen für die meisten Arbeiten aber bequemere Bekleidung. Deren Form orientiert sich weitgehend an Leisure- und Sportswear: An Bord der Raumsonde sind leger geschnittene T-Shirts, Sweat- oder Poloshirts, Hosen in unterschiedlichen Längen und warme, weiche Strümpfe beliebt. Allerdings sind bei der Auswahl einer für das Leben im All geeigneten Bekleidung diverse Vorgaben zu beachten, erklärt Reinhold Ewald, Astronaut der ESA. „Die Bekleidung darf nicht zu locker sitzen. Aufgrund der fehlenden Erdanziehung flattert sie um den Körper herum. Dadurch kann es zu einem unbemerkten Hängenbleiben an der Bordausrüstung kommen.“ Trotzdem sind ein komfortabler Sitz und bequeme Materialien gefordert, denn durch die Schwerelosigkeit findet eine Flüssigkeitsverschiebung von den Beinen in den Oberkörper und den Kopf statt. Die Strümpfe müssen daher die wärmenden Eigenschaften von Hüttenschuhen haben, um die schlechter durchbluteten Füße vor dem Auskühlen zu schützen. Auch bei der Ausstattung der Bekleidung ist ein Umdenken erforderlich. Auf dem Boden folgt der Inhalt einer Hosen- oder Brusttasche der Erd-anziehungskraft und bleibt, wo er ist. Nicht so im Orbit. „Wenn man in einer Tasche ein bestimmtes Teil sucht, kommen in der Schwerelosigkeit auch alle anderen Gegenstände heraus und fliegen im Raum herum. Damit der Inhalt sichtbar ist, werden die Taschen aus einem Netzmaterial gefertigt“, berichtet Ewald. Wichtige, ständig gebrauchte Teile wiederum werden für einen schnellen Zugriff an der Garderobe mit Klettband befestigt.

Besondere Anforderungen gelten auch für die Bekleidungsmaterialien. Die Stoffe dürfen in der Kabinenatmosphäre nicht ausgasen oder sogar schädliche Inhaltsstoffe abgeben. Zudem dürfen sie bei Berührungen mit heißen Oberflächen oder im Fall eines Feuers keine Gefahrenquelle darstellen oder die möglichen Folgen eines Brands verschlimmern. Da die meisten synthetischen Fasern bei höheren Temperaturen schmelzen und sich dabei in die Haut einbrennen, gehören sie in der Raumfahrt daher nicht zu den bevorzugten Materialien. In der Regel werden Artikel aus reiner Baumwolle und beim Sport Funktionsmaterialien getragen. Letztere haben den Vorteil, dass sie - abhängig von den Umgebungseinflüssen - relativ schnell trocknen. Diese Eigenschaft ist im Hinblick auf die Feuchtigkeitsregulierung in der Raumkapsel ziemlich wichtig. Alle Feuchtigkeit, die durch die Atmung oder durch schweißtreibende Tätigkeiten, aber auch durch die Körperhygiene und die Essenszubereitung in die Umgebungsluft gelangt, muss mit Hilfe einer komplexen Klimaanlage wieder zu Frischwasser aufbereitet werden.

Ein Häufchen Asche

Dieses Prozedere lässt - neben anderen technischen Herausforderungen - erahnen, warum die Bekleidung an Bord eines Raumschiffs niemals gewaschen werden könnte. Anstelle dessen geht sie den Weg alles Irdischen. Nach zwei bis drei Tagen Tragezeit ziehen die sechs Astronauten der International Space Station (ISS) frische Shirts und Hosen an und entsorgen ihre gebrauchte Garderobe getrennt als speziell verpackten und so genannten Wet-Trash (nasser Abfall) oder Dry-Trash (trockener Abfall wie Geräte oder Verpackungen). Dieser Abfall wird in einem der Frachtraumfahrzeuge abtransportiert, die zur Versorgung der Astronauten zwischen Erde und Raumstation pendeln. Allerdings schaffen es Bekleidung und Frachter wie das europäische Automatic Transfer Vehicle (ATV) auf dem Rückweg nicht ganz auf den Boden zurück: Beim Eintritt in die Erdatmosphäre verglüht das Fahrzeug mitsamt seiner Fracht. Die bis dahin gebundene Feuchtigkeit spielt dann keine Rolle mehr.

Dipl.-Ing. Sabine Anton-Katzenbach