Hinter den Kulissen der Richard-Wagner-Festspiele Der Götterreiniger von Bayreuth

Seit 105 Jahren reinigt das Bayreuther Familienunternehmen Wild die Kostüme bei den Richard Wagner-Festspielen. Mittlerweile sorgt der Urenkel Franz-Peter Wild dafür, dass „Siegfried“, „Parsifal“, „Lohengrin“ und Co. in ihren Kostümen auch optisch glänzen.Der Götterreiniger von Bayreuth Noch ist der Parkplatz verwaist. Lediglich eine Handvoll Autos steht im Schatten einer Baumgruppe auf dem großen Areal, während sich langsam eine brütende Hitze über den Platz senkt. Touristen sind an diesem Montagvormittag im Juli nur vereinzelt zu sehen. Eine Frau in kurzen Hosen und mit Strohhut blättert durch die Postkartensammlung an einem kleinen Kiosk, der sich gegenüber des Richard-Wagner-Festspielhauses befindet - auf dem sogenannten Grünen Hügel in Bayreuth. Knapp zwei Wochen sind es zu diesem Zeitpunkt noch bis zur Premiere der 99. Bayreuther Festspiele, die in diesem Jahr mit einer Neuinszenierung des Lohengrins unter der Regie des deutschen Schriftstellers und Opernregisseurs Hans Neuenfels eröffnet werden. Von der Probebühne in einem Nebengebäude sind Klangfetzen zu hören. Für den Textilreinigermeister Franz-Peter Wild ist die Probenzeit die stressigste Zeit. „Es gibt einige Sachen, die sehr schnell gereinigt werden müssen. Das ist vor allem in der Probenzeit schwierig. Man muss von einer Minute auf die nächste reagieren können“, sagt er. Trotzdem wirkt der 43-Jährige recht entspannt, als er im langärmeligen weißen T-Shirt und mit Jeans um die Ecke biegt und seinen Besucher abholt. Mit einem breiten Lächeln beginnt der Geschäftsführer der Textilreingung Wild die Besichtigungstour durch das Festspielhaus. Man merkt ihm die Begeisterung für das Gebäude an, das im Jahr 1875 nach Entwürfen von Festspielgründer Richard Wagner im Stil der hellenistischen Romantik mit seiner markanten Backsteinfassade fertiggestellt worden war. Vom imposanten, festlich illuminierten Zuschauerraum, der bis zu 2.000 Zuschauer fasst und „die beste Akustik hat, die es auf der Welt gibt“, wie Franz-Peter Wild schwärmt, geht es über verwinkelte Gänge zum Orchestergraben. Lediglich die erleuchtete Decke des Zuschauerraums ist beim Blick nach oben zu erkennen. Während ein Techniker im Blaumann einen Schaltkasten überprüft, verrät der Textilreiniger ein Geheimnis: Da bei manchen Opern wie „Die Meistersinger von Nürnberg“ die reine Spieldauer allein viereinhalb Stunden beträgt - die Gesamtaufführungsdauer inklusive Pausen liegt bei den „Meistersingern“ beirund sechseinhalb Stunden - und es zudem im Orchestergraben, der nicht vom Publikum eingesehen werden kann, recht warm wird, sind der Dirigent und die Musiker oftmals locker gekleidet.Kurze Hosen und T-Shirts seien dabei durchaus üblich, so Wild. Erst vor dem Schlussapplaus, bei dem sich der Dirigent demPublikum präsentiere, werde dann die festliche Kleidung angelegt. Doch nicht nur hinsichtlich der Spieldauer sind „Die Meistersinger von Nürnberg“ eine echte Herausforderung. Auch reinigungstechnisch stellt die Oper in der aktuellen Spielzeit das komplexeste Stück für Franz-Peter Wild dar. Rund 1.000 Teile muss er nach jeder Aufführung reinigen. Allein 500 Textilien sind es nach der sogenannten Prügelfuge im zweiten Akt, die als eine der originellsten und turbulentesten Chorszenen der Operngeschichte gilt. So entsteht zwischen den Darstellern und dem Chor auf der Bühne eine Massenbalgerei. Die Vorgeschichte ist schnell erzählt: Ein Nürnberger Goldschmied möchte seine Tochter Eva vermählen und verspricht sie demjenigen zur Frau, der ein Wettsingen gewinnt. Neben dem Nürnberger Stadtschreiber Sixtus Beckmesser, der bereits der Zunft der Meistersinger angehört, meldet sich auch der junge Ritter Walther von Stolzing. Er hat sich in Eva verliebt. Eine Liebe, die von der jungen Frau erwidert wird. Damit Stolzing am Wettsingen teilnehmen kann, muss er vor den Meistersingern einen Probegesang absolvieren. Beurteilt wird er dabei ausgerechnet von Meistersinger Sixtus Beckmesser, der am Vortrag seines einzigen Rivalen natürlich kein gutes Haar lässt. So endet der erste Akt in einem Disput der Meistersinger über die Qualität des Gehörten. Noch heftiger geht es jedoch im zweiten Akt zu. Da der Meistersinger und Schuster Hans Sachs mit dem jungen Ritter Walther von Stolzing sympathisiert, kritisiert er eine nächtliche Gesangsdarbietung Beckmessers vor Evas Fenster, indem er aus Protest mit seinem Hammer immer wieder auf Schuhsohlen schlägt. Das Schustergeklopfe und Beckmessers nächtlicher Gesang mit Lautenspiel wecken die verärgerten Nachbarn. Es kommt zu einer großen Prügelszene mit dem Auftritt des Chors. Während sich früher in konventionellen Inszenierungen die Darsteller samt Chor noch „in Nachthemd und Zipfelmütze“ prügelten, wie Franz-Peter Wild erzählt, setzt Festspielleiterin Katharina Wagner, Urenkelin von Richard Wagner, in ihrer Inszenierung auf eine Farbenschlacht. So bespritzen sich die rund 90 Mitwirkenden des Chors und Sonderchors sowie Statisten und Protagonisten unter anderem mit jeder Menge grüner, blauer, gelber und roter Farbe. Die Konsequenz: Nach jeder Aufführung muss der 43-jährige Textilreinigermeister allein 500 Teile von Farbflecken säubern. Noch stressiger ist es allerdings in der Probenzeit. Denn während in der regulären Spielzeit von 25. Juli bis 28. August „nie die gleiche Oper an zwei Tagen hintereinander gespielt wird“ und somit mehr Zeit zum Reinigen bleibt, muss bei den Proben oftmals sehr rasch reagiert werden. „Es kann durchaus sein, dass selbst zu Beginn der Probe noch nicht feststeht, ob es zum Farbeneinsatz kommt. Das heißt, entweder wird trocken geübt, ohne Farbenspritzerei, was auch mal vorkommt. Es kann aber auch sein, dass überhaupt niemand mit einem Farbeneinsatz rechnet und dann geht es auf einmal los.“ In letzterem Fall bedeutet dies für Wild, „dass man natürlich schon rennen muss“. Denn bis zur Probe am nächsten Tag müssen alle Teile wieder gereinigt sein. Für den Bayreuther bringt das vor allem Sonderschichten in der Nacht. So gibt es im Festspielhaus im oberen Stockwerk eine eigene kleine Wäscherei mit einer 10-kg- und zwei 6-kg-Maschinen sowie einer Mangel. Hier können vor allem kleinere Sachen wie Handtücher, Bühnentücher, T-Shirts, aber durchaus auch Kostüme rasch vor Ort bearbeitet werden. Im Eingangsbereich stehen an diesem Tag zwei große rote Plastiktonnen, in denen sich Handtücher der „Meistersinger“-Probe befinden. Für alle größeren und aufwändigeren Reinigungsarbeiten nutzt Franz-Peter Wild seine Textilreinigung, die vom Festspielhaus rund 15 Minuten Fahrtzeit entfernt ist. Dort stehen ihm unter anderem Waschmaschinen von 5 kg bis zu 200 kg zur Verfügung. Zudem arbeitet der Unternehmer derzeit an einem Reinigungsplan für die verschiedenen Inszenierungen. So werden in diesem Projekt die Kostüme aufgelistet und Schwierigkeiten beschrieben. Zusätzlich sollen Synergien gefunden werden, „welche Sachen man teilweise in der kleinen Wäscherei hier machen kann, um sie nicht extra außer Haus zu geben“, so Textilreinigermeister Wild. Obwohl die Proben zur Festspielzeit und die Aufführungen für den gebürtigen Bayreuther jede Menge Stress bedeuten, ist er „mit Herzblut“ dabei, wie er sagt. Er kümmert sich „zu 80 Prozent“ persönlich um die Reinigung der Kostüme, „weil man einiges kaputtmachen könnte“. Die besondere Faszination an der Festspiel-Arbeit sieht der 43-Jährige vor allem darin, „dass man sehr flexibel sein und sehr schnell reagieren muss. Das ist eine Herausforderung. Es ist etwas anderes, als wenn ich Schmutzfangmatten wasche oder mich ansonsten jeden Tag als geschäftsführender Gesellschafter mit Bürozahlen beschäftigen muss. Somit kann ich hier das ausüben, was ich eigentlich gelernt habe, meinen Beruf des Reinigers und Wäschers, den ich im eigentlichen Leben aber gar nicht mehr machen kann, weil ich Geschäftsführeraufgaben habe, die nicht in der Reinigung stattfinden, sondern im Büro.“ Wirklich leicht lassen sich die Kostüme mit ihren Bestandteilen jedoch nicht reinigen. So stellte bislang ein Kostüm der „Parsifal“-Inszenierung von Regisseur Christoph Schlingensief im Jahr 2004 die größte Herausforderung für den Textilreinigermeister dar. Das Kostüm des Bösewichts Klingsor war von oben bis unten mit lauter abstehenden, rostigen Nägeln bestückt, die mit Silicon fixiert worden waren. „Das konnte man in keine Waschmaschine geben. Ich habe es dann zuerst mit einem Schwamm und einer Bürste sauber gemacht und dann mit einem Sprühextraktionsgerät gereinigt.“ Zusätzlich sei der Darsteller auch noch dunkel geschminkt gewesen, was ebenfalls seine Spuren hinterlassen habe. „Das sind schon manchmal Gratwanderungen. Da kann man durchaus eine Stunde oder länger daran arbeiten oder immer wieder über den Tag verteilt.“ Für die Darsteller und Mitwirkenden sei es auch wichtig, dass möglichst keine Kunstfasern zum Einsatz kämen. „Eigentlich wären Kunstfasern pflegeleicht, aber sie sind hier nicht so gern gesehen, weil die Leute schwitzen. Synthetik ist schweißtechnisch eine Katastrophe. Es ist im Haus schon recht warm und auf der Bühne wird es durch die Scheinwerfer noch wärmer. Vom Tragekomfort her eignen sich Wollstoffe und Baumwolle deshalb einfach besser. Für die Reinigung ist es dadurch schon schwieriger, denn wenn es sich bei den farbig verschmutzten Sachen um Synthetik handeln würde, könnten ich sie einfach in die Waschmaschine stecken. So ist es halt ein viel größerer Aufwand.“ Oftmals werde mit Perchlorethylen gereinigt, aber auch die Nassreinigung komme zum Einsatz. Trotz der zahlreichen Kostüme und Reinigungsherausforderungen ist bei Franz-Peter Wild seit mehr als 20 Jahren bei den Bayreuther Festspielen alles reibungslos verlaufen. Nur ein einziges Mal gab es einen echten Schreckmoment. „Damals hing noch ein Kostüm in der Reinigung, das man dringend in einer Aufführung gebraucht hat.“ So hätte der Darsteller des Zwergs Alberich, der in den beiden Teilen „Siegfried“ und „Rheingold“ im „Ring des Nibelungen“ auftritt, fast ohne Kostüm im „Siegfried“ auf der Bühne gestanden. „Da das Kostüm in beiden Ringopern gebraucht wird, war es tatsächlich bei einer Aufführung übersehen worden. Wir hatten gedacht, dass es bis zur ,Rheingold‘-Aufführung noch eine Woche dauert und wir dann erst das Kostüm brauchen. Aber das hat nicht gestimmt.“ Doch der Geschäftsführer der Bayreuther Textilreinigung, der an diesem Tag selbst unterwegs war, konnte die Angelegenheit per Telefon regeln. „Es war schon gereinigt und fertig. Jemand vom Unternehmen hat es dann noch rechtzeitig hingebracht. Es ist noch mal glimpflich ausgegangen. Allerdings war es Spitz auf Knopf. Aber das war die Ausnahme. Normalerweise darf so etwas nicht vorkommen.“ So wird mittlerweile jedesmal die Garderobe eine Stunde vor Aufführungsbeginn überprüft, ob auch alles da ist. Denn manchmal heißt es: „Das Kostüm muss noch in der Reinigung sein“, wie Franz-Peter Wild erzählt. „Das ist es aber gar nicht mehr, sondern es hängt dann meistens in der falschen Garderobe, wo es jemand mit hingenommen hat. Ich weiß dann aber meistens schon, wo es ist, suche es und finde es dann auch.“ Dadurch, dass der 43-Jährige zu den unterschiedlichsten Abteilungen Kontakt hat, kennt er sich überall gut aus. „Für die Geschäftsführung reinige ich die Handtücher, die Wischtücher und die Anzüge, für die Technik die Arbeitssachen und für Bühne und Werkstatt die Kostüme. Das ist schon ein Vorteil, weil man sehr viele Leute kennt und Probleme auch mal etwas unkonventionell lösen kann, wenn das erforderlich ist. Ein bisschen Psychologe ist sozusagen auch beim Beruf des Wäschers dabei.“ Das größte Kompliment hat Franz-Peter Wild in seinen mehr als 20 Jahren bei den Bayreuther Festspielen vom mittlerweile verstorbenen langjährigen Festspielleiter Wolfgang Wagner erhalten. Der bezeichnete den Textilreinigermeister gar als „Götterreiniger“. Ein Lob, an das sich Wild gerne zurückerinnert. „Wolfgang Wagner hat sich immer gefreut. Er war jemand, der bis zur Putzfrau für jeden eine Wertschätzung gehabt hat und der immer gesagt hat, es sind 1.000 Rädchen und eigentlich kann es nicht funktionieren, aber irgendwie funktioniert es doch, und wenn jeder eben sein Rädchen ist, dann klappt es schon.“ Zudem lobte Wolfgang Wagner auch Wilds Fähigkeit, Flecken zu entfernen, die eigentlich in den Kostümen bleiben sollten. So hatte Franz-Peter Wild Kunstblutverfleckungen aus den Stoffen gereinigt. „In den Opern von Wagner kommen ja etliche ums Leben. Es ist eher die Ausnahme, dass da mal alle lebendig durchkommen und dementsprechend gibt es schon Blutflecken und dergleichen, die auch im Kostüm drin bleiben sollen. Das war dann damals nicht mehr der Fall“, sagt der 43-Jährige und schmunzelt. Einen Einsatz nicht nur als Reiniger hinter den Kulissen, sondern auf der Bühne, hatte der Textilreinigermeister auch schon. Er sprang im Jahr 2008 für einen erkrankten Statisten in der Prügelfuge der „Meistersinger“ ein. Mit einer weißen Maske auf dem Gesicht musste Wild als lebendige Dichterbüste eine Stunde lang in einer Stele stehen, bevor die Farbenschlacht losging und sich auch die Büsten bewegen durften. Lampenfieber habe er nicht gehabt. „Aber, es ist schon eine neue Erfahrung, ganz ohne Aufregung geht das nicht ab.“ So spielte bereits Wilds Vater vor mehr als 40 Jahren als Statist im „Ring des Nibelungen“ mit. Im Alter von 15 Jahren wurde der heute 43-Jährige von seiner Großmutter erstmals zu den Proben mitgenommen, damals reinigte sie die Kostüme. Die Begeisterung für Wagner und die Festspiele ist beim gebürtigen Bayreuther bis heute geblieben, der in der vierten Generation als Urenkel die Reinigung bei den Festspielen durchführt. Bei der Verabschiedung Wolfgang Wagners im Jahr 2008 trat er bei einer kleinen Kostümschau als Gott Donner aus der „Rheingold“-Inszenierung von Harry Kupfer auf. Die Faszination für den Grünen Hügel scheint sich auch in der Familie fortzusetzen. So spielt Franz-Peter Wilds achtjähriger Sohn Lukas in diesem Jahr erstmals als Statist im „Rheingold“ und „Lohengrin“ mit. Sein älterer Sohn Jan ist bereits zum zweiten Mal dabei. Er tritt im„Rheingold“ und bei den „Meistersingern“ auf. „Ich freue mich schon darauf und werde es mir auf jeden Fall anschauen“, sagt Franz-Peter Wild und lächelt. Frank Gundermann