Textilpflege in der Krise Der Wäscher von Heinsberg

Florian Maruhn ist einer der ersten Unternehmer, der die Auswirkungen des Coronavirus zu spüren bekam. Letztes Jahr zog der 33-jährige Unternehmer von München nach Nordrhein-Westfalen. Er betreibt eine Wäscherei im Kreis Heinsberg. Anfangs lief alles gut. Dann kam Corona.

Der Wäscher von Heinsberg
Wo sonst reger Betrieb herrscht, dominiert derzeit Stille: Normalerweise werden hier bis zu 400 Hemden, Kochjacken und Kittel bearbeitet. Momentan sind es maximal 40 Teile. - © Florian Maruhn

Es ist Mittwoch, kurz vor 11 Uhr. In wenigen Minuten schaltet Florian Maruhn den Dampfkessel ab und schickt seine Mitarbeiter in den Feierabend. Der Betrieb endete nicht immer so früh. Aber die Coronavirus-Krise hat Deutschland fest im Griff. Die Bundesregierung hat Kontaktverbote erlassen, Schulen sind zu, Aufträge brechen weg, viele Betriebe stehen still. Für den 33-jährigen Textilpfleger ist die Stille längst zur Routine geworden. Er arbeitet im Kreis Heinsberg– also genau in dem Gebiet, das im Februar bundesweit in den Schlagzeilen stand: Von dort breitete sich die erste größere Coronavirus-Infektion in Deutschland aus.

Während sich also der Rest des Landes noch vor dem Virus in Sicherheit wähnte, traf die Pandemie den Wäscher aus Heinsberg schon mit voller Wucht. Den ersten Fall bestätigte der Heinsberger Landrat Stephan Pusch am 25. Februar. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich in Bayern 14 Personen angesteckt. Im Süden stieg die Zahl jedoch zunächst gemächlich an. In Nordrhein-Westfalen hingegen wuchs die Anzahl der Erkrankten exponentiell. Bereits eine Woche später hatten sich 101 Menschen infiziert. Einen Monat später, am 30. März, meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) 12.178 Fälle in Nordrhein-Westfalen, 1.129 der Erkrankten stammen aus Heinsberg. 101 Rheinländer starben an dem Virus, 31 davon kamen aus dem Kreis Heinsberg.

Kunden begannen Heinsberg zu meiden

Vom ersten Fall hörte Maruhn im Radio. "Anfangs dachten wir, das legt sich nach wenigen Tagen", sagt der Inhaber der Quick & Clean Textilpflege. Doch es kam anders. Der Textilpfleger betreibt seine Wäscherei im Stadtteil Grebben mit 16 Annahmestellen. Wenige Tage später kam sein Fahrer von einer Annahmestelle aus dem benachbarten Mönchengladbach ohne Wäsche zurück in den Betrieb: "Die Kunden sagten, sie möchten nicht, dass ihre Wäsche nach Heinsberg geht", sagt er.

Das RKI hatte den Kreis zu einem besonders betroffenen Gebiet erklärt. Es zählt zwar nicht wie das österreichische Bundesland Tirol oder Italien als Sperrgebiet, dennoch gilt Heinsberg damit bis heute als ein Gebiet, in dem sich Menschen leicht anstecken. Genau das machte Unternehmern aus der Region nun zu schaffen. In der Quick & Clean Textilpflege fehlte die schmutzige Wäsche, die Trommeln standen still. Mitarbeiter musste Maruhn trotzdem zahlen – und Kredite bedienen: Er bangte um seine Existenz.

Dass er einmal in eine solche Situation kommt, hätte Maruhn nie gedacht. Seit er 22 Jahre alt ist, führt der gebürtige Münchner eine Textilreinigung. Damals übernahm den Betrieb seines Vaters. "Das war erst so nicht geplant", erzählte er. Als Maruhns Vater krank wurde, arbeitete er bei der Bundeswehr. Wäre er nicht eingesprungen, hätte der Zwei-Mann-Betrieb im Herzen von München stillgestanden, also sprang er ein. Die Arbeit gefiel ihm. Maruhn blieb, expandierte. Mit der Zeit stieß der Unternehmer jedoch an Grenzen: "In München neues Personal zu gewinnen, ist nicht einfach", sagt er. Ebenso schwer: mehr Platz zu finden. Also sah er sich um, nach einem Betrieb, den er übernehmen und ausbauen konnte. Deutschlandweit.

Vor der Pandemie war der Kreis Heinsberg gerade für Wäscher ein attraktiver Standort, weiß Maruhn und zählt öffentliche Einrichtungen wie die Kreispolizei, den Zoll, ein Ausbildungszentrum und einen Militärstützpunkt der NATO unweit der Stadt als potenzielle Auftraggeber auf. Gerade Aufträge aus öffentlicher Hand scheinen krisensicher. Eben diese Standortfaktoren bewegten den Münchner, nach Heinsberg zu ziehen. Der Kreis gefiel ihm: "Die Gegend hier ist der perfekte Kontrast zu den Bergen." Er mag die Nähe zur Nordsee.

Maruhn verkaufte das Unternehmen in Unterhaching und zog nach Heinsberg. Im vergangenen August öffnete er in die 450 Quadratmeter große Wäscherei in ein Gebiet, in dem Gewerbebetriebe neben Wohnhäuser stehen. Für den Ausbau und neue Technik wie Waschmaschinen, Trockner, einen Hemdenfinisher und eine Mangel investierte Maruhn nach eigenen Angaben eine sechsstellige Summe. Anfangs lief alles nach Plan. Dann kam Corona.

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    Die Quick & Clean Textilpflege in Heinsberg
    © Florian Maruhn
    Vor dem Eingang reihen sich sonst Rollwägen mit schmutziger Wäsche. Die fehlen laut dem Inhaber der Quick & Clean Textilpflege, Florian Maruhn, aber derzeit.
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    Die Quick & Clean Textilpflege in Heinsberg
    © Florian Maruhn
    Von den 20 Angestellten kommen noch vier Mitarbeiter zur Arbeit. Mehr Wäsche falle derzeit nicht an, berichtet Maruhn.
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    Volle Wäschewägen sind in Heinsberg seit Ausbruch der Coronavirus-Krise im Februar ein seltenes Bild.
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    Die Quick & Clean Textilpflege in Heinsberg
    © Florian Maruhn
    Ab 11 Uhr steht der derzeit Laden leer. Für seine Mitarbeiter hat Maruhn Kurzarbeit beantragt.
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    Die Quick & Clean Textilpflege in Heinsberg
    © Florian Maruhn
    Maruhn sieht trotz der angespannten Lage auch das Positive: Etwa die Zeit, die er für seine Söhne gewinnt. Sohn Luca genießt das – er kommt gerne mit in die Wäscherei.
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    Die Quick & Clean Textilpflege in Heinsberg
    © Maruhn
    Seit August führt der 33-Jährige den Betrieb in Heinsberg.

Negativtrend seit Februar

Das Virus schlug sich schon im Februar auf Maruhns Bilanzen nieder. Zwar gilt der Monat in der Branche ohnehin als schwach, dieses Jahr aber unterbot der Umsatz den üblichen Wert um 30 Prozent. Der Negativtrend beunruhigte Maruhn. Er war aufgebracht, weil er sich im Stich gelassen fühlte. Von Kunden, die seine Wäscherei mieden. Vom Staat, der sich bei der aufkommenden Krise zunächst zurückhielt. Für Unternehmer wie Marhun keine leichte Situation. Von heute auf morgen galt der westlichste Kreis Deutschlands an der niederländischen Grenze als Corona-Hochburg. Der Kreis und seine mehr als 254.322 Einwohner wurden verpönt, Veranstaltungen abgesagt. Restaurants stellten ihre Stühle hoch, Hotels riegelten die Pforten und Betrieben brachen Aufträge weg. Hilfe schien nicht in Sicht.

Jedes Bundesland reagierte anders. Während die bayerische Regierung schon über finanzielle Unterstützung für Betriebe sprach, ließ das Kabinett in NRW noch nichts dergleichen verlauten. Das machte Maruhn wütend. Also wandte sich er an die Öffentlichkeit. "Ich vermisse klare Ansagen an Betriebe, wie man kurzfristig damit umgehen kann", sagte er Mitte März gegenüber dem Westfälischen Anzeiger. Und er schrieb ans Nordrhein-Westfälische Wirtschaftsministerium. Mit Erfolg. Ein Mitarbeiter habe ihn angerufen und ausführlich beraten, sagt er: "Damit habe ich nicht gerechnet."

Corona-Soforthilfen ab sofort abrufbar

Mittlerweile trifft die Pandemie jeden. Viele kleine und mittlere Betriebe fürchten wie der Heinsberger Wäscher um ihre Lebensgrundlage. Die Folge: Der Bund schnürt Hilfspakete. Unternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern erhalten Corona-Soforthilfen von bis zu 15.000 Euro. "Wir lassen niemanden alleine", versprach Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier auf einer Pressekonferenz am 27. März. Damit Betriebe ihre Mitarbeiter nicht entlassen müssen, lockerte die Regierung die Regelungen zur Kurzarbeit.

Ende März ist Maruhns Wut verflogen. Er spricht mit ruhiger Stimme, wirkt fast gelassen. "Ich vertraue auf den Staat", sagt er. Für seine 20 Mitarbeiter hat der 33-Jährige Kurzarbeit bei der Bundesagentur für Arbeit beantragt – rückwirkend für März. "Begeistert ist zwar keiner, aber jeder hat Verständnis." Kurzarbeit bedeutet, die Bundesagentur für Arbeit bezahlt Arbeitnehmern 60 Prozent ihres Nettolohns, 67 Prozent, wenn sie Kinder haben. "16 Mitarbeiter sind auf null Stunden, das heißt, sie blieben komplett zuhause", sagt er. Das Problem: Vielen reicht das nicht zum Leben. Sie werden Hartz IV beantragen müssen, schätzt Maruhn. "Einige fragen jetzt in Supermärkten an."

Er vermutet, dass der ein oder andere nach der Krise nicht mehr bei ihm arbeitet. Für ihn ein Problem. "Aber ich kann das Kurzarbeitergeld nicht aufstocken", sagt er. Dazu sei die finanzielle Lage des neueröffneten Betriebs zu angespannt. Nur vier Mitarbeiter kommen derzeit noch in die Quick & Clean Textilpflege. Mehr braucht er nicht, denn der negative Trend hält an: Seine Annahmestellen verzeichnen bis zu 70 Prozent Einbrüche – Sakkos, Hemden und Bettwäsche werden kaum noch abgegeben. Im Thekengeschäft verbucht er an manchen Tagen nur 20 Euro Tagesumsatz. Vor der Krise wären das laut Maruhn locker bis zu 400 Euro gewesen. "Jetzt ist alles auf ein Minimum reduziert."

Im März verlor der Betrieb fast die Hälfte der Umsätze, schätzt der Unternehmer. "Für April hoffe ich auf nur 80 Prozent Umsatzverlust." Maruhn hält inne: "Es werden wohl eher bis zu 90 Prozent." Seinen Kollegen ergehe es ähnlich. "Einige überlegen, ob sie zumachen." Das große Problem ist auch im Kreis Heinsberg der Stillstand. "Wir leben hier viel von Messen", erzählt Maruhn. Das Messegeschäft sei für Textilpfleger neben dem Hotel- und Gastgewerbe ein wichtiger Auftraggeber. Aus dem Bereich habe er von den etwa 40 Kunden, die er sonst bedient, hat er noch zwei.

Maruhn nutzt die Zeit

Als die Coronavirus-Krise ihren Anfang nahm, drängte sich Maruhn die Frage auf, weshalb er ausgerechnet nach Heinsberg gezogen war. Diese Frage stellt er sich längst nicht mehr. Die Pandemie trifft jeden. Durch die jüngsten Ereignisse wurde Maruhn aber pragmatisch: Er könne die Situation nicht ändern, also versuche er, die Zeit bestmöglich zu nutzen. "Um runterzufahren", sagt der dreifache Vater. Für ihn heißt das, mit den Söhnen zu spielen, oder mittags mit dem Hund am Wasser spazieren zu gehen. Dinge, die er sonst im Alltag zugunsten des Betriebs verschoben hätte. An diesem Vormittag spielt sein dreijähriger Sohn – ein "begeisterter Wäscher" – im Büro. "Er mag es, wenn die Maschinen laufen." Am Morgen habe der Junge fast geweint, erzählt der Vater – weil viele Maschinen stehen. Wie lange die Krise noch andauert, weiß derzeit keiner. Täglich erreichen Maruhn Anrufe, Aufträge werden storniert. Einer davon stamme vom Ausbildungszentrum der Polizei. Diesen Auftrag hatte er nach einer öffentlichen Ausschreibung erhalten. Doch nun bleibt auch das Schulungszentrum zu. Wie viele seiner Kunden nach der Krise ihre Betriebe für immer schließen werden, wagt Maruhn nicht zu sagen. Trotz der aktuellen Lage blickt er zuversichtlich in die Zukunft: Er habe gute Mitarbeiter und einen funktionieren Betrieb.

Und: "Ein bisschen Arbeit ist ja noch da." Einer von vier Fahrern holt noch Wäsche. Statt um sieben Uhr beginnen die vier verbliebenen Textilpfleger um acht Uhr zu waschen. Spätestens um 11, nicht wie sonst um vier Uhr, falten sie die letzten gemangelte Stücke. "Wenn die Gelder so fließen wie versprochen", sagt Maruhn, dann kann er zwei, höchstens drei Monate überbrücken. "Vier Monate schaffen wir nicht."