Nachwuchs fördern Fachkräfte von morgen ­suchen und ausbilden

Gewerbe und Handwerk in Österreich leiden daran, dass zu wenige Jugendliche an einer Lehre interessiert und oft auch zu schlecht ausgebildet sind. Um junge Menschen für eine Ausbildung zu gewinnen, startete die Wirtschaftskammer Österreich die Kampagne „Probier dich aus!“. Gleichzeitig fordert sie Talentechecks und Schwerpunktschulen für eine bessere schulische Erziehung.

Ein Plus von 4,2 Prozent bei den Lehrlingen im ersten Lehrjahr ist ein starkes Signal der Betriebe und zeigt, dass die Ausbildung der eigenen Fachkräfte sehr ernst genommen wird“, betonte Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), im Rahmen eines Pressegesprächs am 22. November 2017 in Wien. Diese Zahlen würden auch verdeutlichen, dass es richtig von den Wirtschaftskammern sei, österreichweit Talentechecks für 13- und 14-jährige Jugendliche anzubieten.

Derzeit nutzen laut WKÖ rund 75 Prozent aller Jugendlichen dieses ­Gratisangebot der Wirtschaftskammern, um die eigenen Talente und Fähigkeiten in Hinblick auf eine künftige Berufswahl zu testen. Um auch die restlichen 25 Prozent der Jugendlichen in Österreich im Rahmen der Talentechecks zu erfassen, sollten diese nun verpflichtend sein. „Denn nur so können die Jugendlichen direkt den richtigen Weg zur Berufswahl einschlagen, ohne Umwege und ohne Drop-out“, sagte Leitl. Zugleich, so der WKÖ-Präsident, sei dies die Grundvoraussetzung dafür, um heute die Fachkräfte von morgen zeitgerecht und qualitativ hochwertig auszubilden. Denn eines der größten Probleme der Betriebe sei, die geeigneten Fachkräfte zu finden.

Kampagne für Jugendliche mit YouTube-Stars

Vor diesem Hintergrund startet die WKÖ unter www.probierdichaus.at eine auf die Bedürfnisse der Jugendlichen maßgeschneiderte Kampagne. Sie soll über die Chancen der dualen Ausbildung und die Vielfalt der beruflichen Möglichkeiten informieren.

So testen u.a. zwei aus sozialen Netzwerken bekannte Persönlichkeiten die unterschiedlichen Lehrberufe in einem Video-Self-Check. Diese sogenannten Influencer präsentieren über 200 Lehrberufe und gehen interaktiv auf Fragen der Jugendlichen ein, wie der WKÖ berichtet.

„Bei der Lehre tut sich was“, so Leitl. Er verwies darauf, dass sich in den vergangenen zehn Jahren der Anteil der Mädchen in bisher klassisch männlichen Berufsbildern wie Elektrotechnikern oder Mechatronikern verdoppelt habe. „Das sind die Chancenberufe und diese Trends müssen wir verstärken“, unterstrich der WKÖ-Präsident.

Ausbildungsreife verankern

Neben der Forderung nach einer verpflichtenden Einführung von Talentechecks will die WKÖ eine Ausbildungsreife verankern, um die beste Vorbereitung während der Schulpflicht zu gewährleisten. „Sinnerfassendes Lesen, Schreiben, Rechnen, aber auch soziale Kompetenzen müssen mit Absolvieren der Schulpflicht bei den Jugendlichen als Bildungsstandards vorausgesetzt werden können“, betonte Leitl.

Zudem sollten sogenannte Schwerpunktberufsschulen eingerichtet werden, um in definierten Bereichen und nach Vorgaben in den Regionen einen Grad hoher Spezialisierung zu erreichen und damit internationale Spitzenqualität zu gewährleisten.

Kritik an Erfolgsquote ­unberechtigt

Der zuletzt geäußerten Kritik an der Durchfallquote bei den Lehrabschlussprüfungen entgegnete Leitl, dass 80 Prozent der Lehrlinge diese im ersten Anlauf und 95 Prozent im zweiten Anlauf schaffen. Damit sei die Erfolgsquote ähnlich hoch wie in den Allgemeinbildenden Höheren Schulen (AHS). „Wir dürfen uns die Lehre nicht madig machen lassen. Eine 100-prozentige Erfolgsquote im ersten Anlauf gibt es in keinem Ausbildungssystem“, sagte der WKÖ-Präsident.

Dass die Lehre für die Jugendlichen attraktiv ist, zeigen Umfragen, so die WKÖ. Demnach empfehlen 90 Prozent der Absolventen eine Lehre aufgrund der praxisorientierten Ausbildung und der guten beruflichen Chancen. 85 Prozent der Lehrlinge seien mit ihrem aktuellen Arbeitsplatz zufrieden – inklusive jener, die im ersten Lehrjahr sind. Bei Letzteren sei die Zufriedenheit besonders hoch. Jeder zehnte ehemalige Azubi arbeitet laut Umfrage heute selbständig. Parallel dazu würden die Daten zeigen, dass rund 22 Prozent der heimischen Führungskräfte einen Lehrabschluss haben. Rund 35 Prozent der österreichischen Unternehmer kämen über die duale Ausbildung in die Selbständigkeit.

Fachkräftemangel als ­größtes Problem

„73,5 Prozent der Betriebe sehen im Fachkräftemangel das größte Problem für die Zukunft. Und auch international wird der Fachkräftemangel ein immer wichtigeres Thema“, so der WKÖ-Präsident. Nicht zuletzt beweise die hohe Nachfrage aus dem Ausland, dass Österreich mit der dualen Ausbildung über ein Spitzenprodukt verfüge, wie auch die Ergebnisse österreichischer Teilnehmer bei den World- und EuroSkills zuletzt gezeigt hätten. „Hier haben wir uns bestmöglich präsentiert, sodass wir immer mehr Anfragen nach Kooperationen im Bereich der dualen Ausbildung – zuletzt aus dem Iran – erhalten“, so Leitl weiter.

Aufgrund der guten konjunkturellen Situation und der verbesserten ­demographischen Entwicklung soll man jetzt ansetzen, und die ­Rahmenbedingungen für die duale Ausbildung ­anpassen und somit die Lehre weiter modernisieren. „Wenn in Zukunft alle 19-Jährigen ­sowohl über einen höheren Bildungs­abschluss mit Matura als auch einen beruflichen Abschluss verfügen, dann wäre das meine persönliche ­bildungspolitische Vision“, fügte der WKÖ-Präsident abschließend hinzu.

www.wko.at

  • Nur mit Talentecheks können die ­Jugendlichen direkt den richtigen Weg zur Berufswahl wählen, ohne Umwege und ohne Drop-Out.
  • Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer Österreich
  • Wir dürfen uns die Lehre nicht madig machen lassen. Eine 100-prozentige ­Erfolgsquote im ersten Anlauf gibt es in keinem Ausbildungssystem.
  • Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer Österreich