Steritex KG, Göttingen Mehrwegstrategie geht auf

Als in den 80er Jahren Einwegprodukte für medizinische Einrichtungen auf den Markt kamen, reagierte die Steritex KG in Göttingen mit der Entwicklung innovativer Medizintextilien für die mehrfache Verwendung. Mit dieser Strategie gelang es dem Unternehmen, sich zum europäischen Marktführer für textile Medizinprodukte zu profilieren.Mehrwegstrategie geht auf Fast sieben Jahre ist es her, als ein defekter Lüfter in der Steritex KG in Göttingen einen verheerenden Brand auslöste. „80 Prozent der Bausubstanz wurden von heute auf morgen vernichtet“, erinnert sich Andreas Stichnoth. Heute noch ist der Geschäftsführer sehr dankbar, dass fünf Kollegenbetriebe für seine Kunden die Aufbereitung von Medizinprodukten vorübergehend übernahmen. Auch beim Wiederaufbau hatte er gewissermaßen Glück im Unglück: „Vier Tage nach der Feuersbrunst wurde in einer Molkerei an der Willi-Eichler-Straße die Produktion eingestellt. Das Gebäude war relativ neu und die Infrastruktur stimmte auch. Deshalb habe ich sofort den Finger daraufgelegt“, berichtet Andreas Stichnoth. Innerhalb eines knappen Jahres wurde aus der Molkerei ein hochmodernes Textilserviceunternehmen für textile Medizinprodukte: „20 Prozent des Gebäudes, die nicht unseren Anforderungen entsprachen, haben wir abgerissen. Anschließend wurde die Produktionsfläche von 6.000 auf 7.500 m2 erweitert“, so der Unternehmer. Ein Brunnen und eine fast neuwertige Wasser- und Dampfversorgungsanlage konnten für den Wäschereibetrieb übernommen werden. Schon das alte Werk war mit Technik der neuesten Generation ausgestattet gewesen. „Am neuen Standort haben wir aber noch einmal unsere Leistungsfähigkeit durch Optimierung der Betriebsabläufe verbessert“, erzählt Stichnoth. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil des neuen Gebäudes ist auch, dass hier die komplette Produktion auf einer Ebene durchgeführt werden kann. Hatte die Steritex KG zur Eröffnung des neuen Betriebs am 1. März 2004 wieder bei null angefangen, so verlassen heute täglich weit mehr als 50 t Miettextilien - 95 Prozent davon für das Gesundheitswesen - das Werk. Sterilgut ist heute das wichtigste Standbein des Unternehmens, welches seit 1983 auf diesen Bereich spezialisiert ist. „Damals eroberten zusehends Einwegprodukte die Operationssäle. Wir versuchten, diesem Trend entgegenzusteuern, indem wir sämtliche Möglichkeiten des Textilsektors bündelten und innovative Alternativen entwickelten“, so Andreas Stichnoth. Es gelang dem Unternehmen, immer mehr Kunden von dem Komfort, den OP-Wäsche mit Barrierefunktion aus textilen Materialien nun einmal bietet, zu überzeugen. Schon bald nahm Sterilgut einen Anteil von 15 Prozent der Gesamttonnage ein. Durch die kontinuierliche Entwicklung neuer Produkte und die Kooperation mit Kollegenbetrieben konnte dieses Segment erfolgreich ausgebaut werden. Heute hält die Steritex KG 200 verschiedene Artikel bereit, aus denen 475 unterschiedliche OP-Sets zusammengestellt werden können. „Die Palette reicht von Spezialsets für einzelne Eingriffe bis zu kundenspezifischen Varianten“, erklärt der Geschäftsführer. Ebenso sind Kombinationen von textiler Sterilwäsche mit Einwegartikeln, die ebenfalls zum Sortiment des Unternehmens gehören, möglich. Um die medizinischen Einrichtungen individuell und bedarfsgerecht bedienen zu können, ist die detaillierte Kenntnis ihrer Profile genauso wichtig wie das Wissen um ihre internen Organisationswege. Der Geschäftsführer: „Genau an diesen Kriterien richten wir unsere Leistungen aus.“ Die wöchentlichen Versorgungsrhythmen orientieren sich an kundenspezifischen Belangen wie Volumen, Lagermöglichkeiten oder auch Bedarfsschwankungen. Im Regelfall erfolgt die Ver- und Entsorgung ein- bis zweimal wöchentlich, in Einzelfällen täglich. Für die Abholung und Auslieferung steht eine Flotte mit Standard-Lkws samt Anhängern bereit, die jeweils in eine reine und eine unreine Kammer unterteilt sind. Die Kunden entsorgen die benutzten Teile in je nach Segment unterschiedlich gefärbten Wäschesäcken. Im unreinen Bereich der Wäscherei wird der Inhalt je nach Verwendungszweck einer von drei Waschstraßen zugeordnet und nach den Kriterien des RAL Gütezeichens 992/2 für Krankenhauswäsche gewaschen, desinfiziert und gegebenenfalls ausgerüstet. „Die Entsorgung und Bearbeitung potenziell infektiöser Wäsche werden in separaten und speziell gekennzeichneten Behältnissen und konsequent nach den Hygienerichtlinien des Robert Koch-Instituts durchgeführt“, so Andreas Stichnoth. Die Steritex KG war auch die erste deutsche Produktionsstätte, die gemäß der EG-Richtlinie 93/42/EWG (sog. „Medizinprodukterichtlinie“) zertifiziert wurde. Der Geschäftsführer: „Diese Zertifizierung erfolgt durch die benannte Stelle. Die Überwachung obliegt der Bezirksregierung.“ Die OP-Wäsche wird nach dem Waschen, Desinfizieren und Sortieren je nach Verwendungszweck über vollautomatische Straßen den entsprechenden Weiterbearbeitungsprozessen zugeführt. Während des gesamten Aufbereitungszyklus durchlaufen die Teile eine permanente Qualitätskontrolle. Artikel mit möglichen Beschädigungen werden maschinengestützt erkannt und aussortiert. Um den Bearbeitungsprozess der Hightechtextilien so schonend wie möglich zu gestalten, werden z.B. für die Entwässerung ausschließlich Zentrifugen eingesetzt, im Finishbereich Kalander. Die Zusammenstellung der OP-Sets durch die Mitarbeiter erfolgt rechnergestützt. Die vom MPG geforderte Rückverfolgbarkeit aller Aufarbeitungsschritte inklusive der Sterilisation ist durch ein Identnummernsystem gewährleistet. Die meisten Kunden werden entsprechend der Rückliefermenge mit Medizinprodukten versorgt. Bestellungen pro Liefertag seien zwar möglich, aber die absolute Ausnahme, berichtet der Unternehmer. Es gibt aber auch Krankenhäuser, in denen die vorhandenen Restmengen - anhand des Datenbestands erfasst - bei der nächsten Lieferung komplettiert werden. „Sehr fortschrittliche Einrichtungen sind mit unserer hauseigenen Software, die auch unsere Produktionsprozesse steuert, verbunden“, so der Geschäftsführer. Auf diese Weise können sogar während einer Operation über einen Scanner Artikel identifiziert werden, die für den Patienten verbraucht worden sind. „Heute ist es durchaus gängige Praxis, die pro Patienten verbrauchten Materialien einschließlich Implantaten zu erfassen“, erklärt Andreas Stichnoth. Im Bereich Flach- und Patientenwäsche sowie Berufsbekleidung für Angehörige der (längst nicht mehr immer) „weißen“ Berufe bietet die Steritex KG die komplette Stationsversorgung an. Mittlerweile hat es sich unter Insidern herumgesprochen, dass das vom Unternehmen entwickelte Inkontinenzpflegesystem „Incotex“ Einwegartikeln deutlich überlegen ist. Die Produktionsprozesse sind ähnlich organisiert wie im Sterilsegment. Der Verschleiß der Teile differiert je nach Einsatzbereich. „Es gibt Artikel wie zum Beispiel Waschlappen, die noch nicht einmal 20 Zyklen erreichen“, räumt Andreas Stichnoth ein. Andere Teile wiederum könnten 250-mal und zuweilen noch länger eingesetzt werden. Textilien für technische Einsätze wie etwa für Operationen können in der Regel 100-mal ausgetauscht werden. „Ihre effektive Lebensdauer beträgt etwa 75 Zyklen“, so der Geschäftsführer. Die Ware wird weltweit eingekauft. „Infolge des Preisdrucks durch asiatische Hersteller mussten in Europa viele Webereien aufgegeben werden“, erklärt Andreas Stichnoth. Wegen der weiten Transportwege und aufgrund der in Asien oft üblichen Verpflichtung, große Mengen abnehmen zu müssen, kauft die Steritex KG aber inzwischen etliche Schlüsselprodukte wieder in Europa ein. „Die Bedingungen vieler asiatischer Lieferanten ließen die Flexibilität, die das Leasinggeschäft nun einmal erfordert, vermissen. Auch war die Qualität nicht immer zufriedenstellend“, erläutert der Geschäftsführer. Weil aber Mietwäschebestände immer wieder ergänzt werden müssen, sei Kontinuität in Design und Qualität unverzichtbar. Konsequenterweise führte die Forderung nach höchster Qualität, Individualität und Zuverlässigkeit 1997 zur Gründung des eigenen Konfektionsbetriebes. Am polnischen Standort Lodz werden heute 55 Mitarbeiter beschäftigt. Die Entwicklung neuer Technologien und Materialien ermöglicht der Steritex KG, auch ausgefallene Kundenwünsche zu erfüllen. „Mit jeder erfolgreichen Akquisition kommen neue Artikel in unser Sortiment“, unterstreicht Andreas Stichnoth. So gesehen bringe jeder neue Kunde neues Know-how und technische Innovationen in das Unternehmen ein. „Gern bieten wir unseren Kunden die Möglichkeit an, neue Materialien oder Artikel monatelang, mitunter sogar mehrere Jahre in der Praxis zu testen“, versichert der Geschäftsführer. Reinhard Wylegalla