Kommentar zum Sozialbericht 2016/2017 Widersprüchliche Aussagen

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    Die Zunahme der Sozialausgaben, v.a. für Pensionen, liegt laut WKÖ– anders als im Sozialbericht dargestellt – nicht an der Finanzkrise. Quelle: Sozialbericht, Grafik: RWT
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    Das durchschnittliche Pensionsantrittsalter hat sich laut Sozialbericht um sechs Monate erhöht. Die Rehageldbezieher wurden in der Statistik jedoch nicht berücksichtigt. Quelle: Sozialbericht, Grafik: RWT
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    Die Zahlen zeigen, dass schon jetzt eine massive Umverteilung vom oberen zum unteren Einkommensdrittel stattfindet. Quelle: Sozialbericht, Grafik: RWT

3 Der Sozialbericht wurde laut Rolf Gleißner von der WKÖ offenbar dafür konzipiert, politische Botschaften zu bestätigen. Denn teilweise werden Zahlen selektiv hervorgehoben oder einseitig interpretiert. So wird beispielsweise die Ungleichheit betont, um noch mehr Umverteilung etwa durch Erbschafts- und Vermögenssteuer zu fordern. Die hohe Teilzeitquote für Frauen wird mit „systematischer Benachteiligung“ gleichgesetzt. Die Kosten des Pensionssystems werden mit der Alterung begründet und nicht damit, dass sich das System nicht wie in anderen Ländern an die Alterung anpasst. Und die Digitalisierung wird als Grund für eine nötige Arbeitszeitverkürzung dargestellt, obwohl diese ohnehin schon stattfindet. Wie die folgenden Punkte zeigen, widersprechen sich viele der Aussagen im Sozialbericht selbst. Positive Entwicklungen werden hingegen tendenziell unterbewertet.

  • Sozialausgaben

Die Sozialquote wird durch die BIP-Entwicklung und die Sozialausgaben bestimmt. Dazu heißt es im Bericht:

Seite 155: „Von 2008 bis 2009 ist die Sozialquote in Österreich wegen der weltweiten Finanzkrise um zwei Prozentpunkte auf 29,8 Prozent gestiegen.“

Seite 157: „Von 2008 bis 2015 sind die Sozialausgaben um 17 Milliarden Euro gestiegen, nur zehn Prozent des Zuwachses entfällt auf den Arbeitsmarkt, 55 Prozent auf Pensionsausgaben, 24 Prozent auf Gesundheit.“

Die langjährige Zunahme der Sozialausgaben liegt jedoch, anders als im Sozialbericht dargestellt, nicht an der Finanzkrise (siehe Grafik).

  • Finanzierung und Verteilung

Auf Seite 166 des Berichts heißt es, dass 35 Prozent der Sozialausgaben von Arbeitgebern und Selbstständigen finanziert werden, 21 Prozent von Arbeitnehmern und 36 Prozent aus allgemeinen Steuermitteln. Dabei entfallen die Sozial- und Gesundheitsleistungen laut Bericht beinahe je zur Hälfte auf Frauen und Männer (Seite 169). Die Aufteilung der Finanzierung wird zwar nicht angegeben, nach der Lohnsteuerstatistik 2015 werden 62,6 Prozent der Sozialversicherungsbeiträge und 71,9 Prozent der Lohnsteuer jedoch von männlichen Arbeitnehmern eingehoben.

  • Szenario 2030

Der Bericht macht die Sozialquote ausschließlich vom Wirtschaftswachstum abhängig und suggeriert eine stabile Quote bis 2030 bei einem durchschnittlichen Wachstum von 1,8 Prozent. Aber: Von 2009 bis 2018 betrug/beträgt das Wachstum im Schnitt nur 1,2 Prozent, obwohl das Beschäftigungspotenzial stark stieg/steigt. Wenn die Babyboomer ab 2021 in Pension gehen, wird das Beschäftigungspotenzial schrumpfen, ein Wachstum von 1,8 Prozent ist dann noch unrealistischer als bisher. Die Sozialquote wird daher massiv steigen, wenn nicht weitere Reformen stattfinden.

  • Sozialschutzausgaben im internationalen Vergleich 2013

Österreich liegt bei den Ausgaben in Prozent des BIP in der EU auf Platz acht, bei den absoluten Ausgaben pro Kopf auf Platz vier.

  • Armut in Österreich

Als armutsgefährdet gelten Personen, deren Haushalt weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens erzielt. Trotz Krise ging der Anteil der „Armutsgefährdeten“ laut Sozialbericht von 2008 bis 2015 von 15,2 auf 13,9 Prozent zurück, während sie in der EU und in Deutschland stieg (Seite 371). Österreich hat mit 13,9 Prozent den siebtniedrigsten Anteil an „Armutsgefährdeten“ in der EU. Das täuscht aber darüber hinweg, dass die Einkommensschwelle, unter der man in Österreich als armutsgefährdet gilt, höher ist als das Durchschnittseinkommen in den meisten neuen EU-Ländern. Armutsgefährdung bedeutet also keineswegs Armut. Das belegen auch die Zahlen des „Working Poors“, der Schnittmenge zwischen Erwerbstätigen und Armen, auf Seite 372: Der Anteil der „Working Poor“ sank in Österreich von 2008 bis 2015 trotz Krise von 8,5 auf 7,8 Prozent, während er in der EU von 8,5 auf 9,6 Prozent stieg. Es ist zu erwarten, dass sich die oberen Armutswerte durch die starke Asylzuwanderung verschlechtern.

  • Auswirkungen auf den Lebensstandard

Seite 216: „Mit 22 Prozent sind Allein­lebende in der Gruppe der Niedrigeinkommensbezie­henden mehr als dreimal so häufig vertreten wie in der höchsten Einkommensgruppe (sieben Prozent). Personen, die mit einem Partner (ohne Kinder) im Haushalt leben, müssen demgegenüber mit acht Prozent deutlich seltener mit niedrigem Haushaltseinkommen auskommen, ebenso Familien (14 Prozent).“

Der gemeinsame Haushalt reduziert die Armutsgefährdung von Frauen massiv (EU SILC 2007, zitiert in: Marcel Fink, Working Poor als Problem sozialpolitischer Steuerung 2011).

  • Gesundheit und Armut

Zum Thema Gesundheit und Armut heißt es im Bericht:

Seite 198: „Armut und soziale Ausgren­zung wirken sich negativ auf die Gesundheitschancen der betroffenen Menschen aus, denen weniger Res­sourcen zur Förderung und Erhaltung ihrer Gesundheit zur Verfügung stehen.“

Seite 199: „Der Zusammenhang zwischen Einkommen und Gesundheit ist dabei nicht als einfache Ursache-Wirkungs-Beziehung zu deuten. Gesundheitsrelevante Verhaltensweisen wie Essgewohnheiten, Bewegung und Sport, Alkohol- und Tabakkonsum oder die Inan­spruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen haben sowohl mit Gesundheitsbewusstsein und Wissen um gesundheitsförderndes Verhalten als auch mit den finanziellen Möglichkeiten zu dessen Umsetzung zu tun.“

Der Bericht suggeriert zunächst, dass Armut krank macht, relativiert die Aussage aber später. Nach der Studie „Soziodemographische und sozioökonomische Determinanten von Gesundheit 2014“, die auf der Gesundheitsbefragung 2014 beruht, sind die hauptsächlichen Determinanten von Gesundheitszustand und ­­-verhalten Alter, Arbeitslosigkeit, Migrationshintergrund und Bildungsgrad und nicht das Einkommen. Rauchen und starkes Übergewicht kommen demnach bei niedriger Schulbildung besonders häufig vor. Darüber hinaus führt der Bericht unter dem Titel „Sterben Arme früher?“ auf Seite 202 an, dass die Lebenserwartung von Personen mit Hochschulabschluss um 7,0 Jahre (Männer) bzw. 2,8 Jahre (Frauen) höher lag als bei Personen mit Pflichtschulabschluss. Es geht also v.a. um Bildung, nicht um Einkommen.

  • Aufwendungen der Arbeitsmarktpolitik

Seite 25: „Der Anteil der aktiven und aktivierenden Aufwendun­gen am Gesamtbudget der Gebarung Arbeitsmarkt­politik ist seit dem Jahr 2002 um neun Prozentpunkte auf nunmehr 31 Prozent gestiegen. Das bedeutet einen verbes­serten Interventionsspielraum für das AMS und macht die Aktivierungsstrategie in der Arbeitsmarktpolitik sichtbar.

Diese Entwicklung ist besorgniserregend. Das Arbeitsmarktbudget wies schon 2015 ein Defizit von 1,5 Milliarden Euro auf, Tendenz steigend. Der Anstieg der Ausgaben bei gleichzeitig zunehmendem Missmatch am Arbeitsmarkt weist auf Ineffizienzen in der Förderpolitik und strukturelle Mängel am österreichischen Arbeitsmarkt hin. Ein gutes Beispiel ist die Altersteilzeit, deren Kosten von 2012 bis 2016 von 207 auf 300 Millionen Euro anstiegen (Seite 26). Dieses Geld aktiviert nicht, sondern subventioniert ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Darüber hinaus heißt es in dem Bericht auf Seite 29: „Damit wurde der angestrebte Anteil von 50 Prozent für Förderungen von Frauen nahezu erreicht. Dieser Anteil liegt deutlich über dem Anteil der Frauen am jahresdurchschnittlichen Bestand der registrierten Arbeitslosen (43 Prozent).“ Die starre 50-Prozent-Vorgabe ist kritisch zu sehen. Wenn eine Gruppe stärker von Arbeitslosigkeit betroffen ist, sollte sie auch flexibel mehr Unterstützung erhalten.

  • Überregionale Lehrstellenvermittlung

Es ist erfreulich, dass der Bericht das Projekt zur überregionalen Lehrstellenvermittlung (b.mobile) näher darstellt. Dies ist auch als positives Signal für die Weiterentwicklung dieses Projekts und weitere Aktivitäten zur überregionalen Vermittlung zu werten.

  • Bedarfsorientierte Mindestsicherung

Seite 123: „Die Wiedereingliederungsmöglichkeiten für BMS-Bezieher in den Arbeitsmarkt hängen sehr stark von der Lage am Arbeitsmarkt ab. Die derzeit steigende Arbeitslosigkeit lässt die Reintegration von BMS-Bezieher immer schwieriger werden.“

Aber: Die Zahl der BMS-Bezieher hängt nicht nur von der Arbeitsmarktsituation ab. Die Zahl stieg seit Einführung der BMS ständig, also auch in Zeiten sinkender Arbeitslosigkeit. Die Arbeitsanreize spielen hier eine wesentliche Rolle, die lässt der Bericht jedoch unerwähnt.

  • Pensionen

Ideologisch-antikapitalistische Tendenzen zeigen sich im Sozialbericht auch an der Wortwahl:

Seite 10: „Jahrzehntelange Propaganda über die angebliche Unfinanzierbarkeit des Pensionssystems hat sich tief in das Bewusstsein der Bevölkerung eingegraben und den Banken und Versicherungen Milliarden an Vorsorgegeldern gebracht.“

Anmerkung: Indem Europäische Kommission, IWF, OECD und alle namhaften Experten im In- und Ausland Pensionsreformen empfehlen und alle Staaten diese auch durchführen, sitzen sie offenbar nur der Propaganda von Versicherungen und Banken auf.

  • Pensionsantrittsalter

Seite 161: „Das durchschnittliche Pensionsantrittsalter bei den Direktpensionen betrug im Jahr 2015 60,2 Jahre (Männer: 61,3 Jahre, Frauen: 59,2 Jahre). Im Vergleich zum Vorjahr hat es sich um rund sechs Monate erhöht.“

Der Sozialbericht klammert die Rehageldbezieher aus (siehe Grafik), obwohl sie fast nahtlos an die Stelle der Invaliditätspensionisten treten und das Pensionsbudget belasten. Der Hauptverband berechnet auch das Antrittsalter mit Rehageldbeziehern. Demnach steigt das Antrittsalter „im Schneckentempo“ und langsamer als die Lebenserwartung. 2016 zeigt sich der Effekt der Ausklammerung der Rehageldbezieher. Aus dieser Gruppe, die bisher nicht in die Statistik einging, gehen zunehmend Versicherte mangels Rehaerfolg endgültig in Pension, sodass das Antrittsalter sogar wieder sinkt. Der Bericht bestätigt auf Seite 67 einen weiteren Anstieg der Pensionsbezugsdauer. Nach dem Sozialbericht 2014/15 betrug diese noch 17,9 Jahre bei Männern und 23,9 Jahre bei Frauen. Im aktuellen Bericht beträgt sie für Männer 19,1 Jahre und für Frauen 24,5 Jahre.

  • Entwicklung der Lohnquote

Der Bericht betont, dass die Lohnquote fällt. Dabei zeigt sich, dass die Lohnquote heute genauso so hoch ist wie im Jahr 2000 (Seite 234, 262). Eine im Bericht auf Seite 233 hervorgehobene Erklärung für die angeblich fallende Lohnquote klingt fast marxistisch: „Durch die Machtkonzentration gelingt es der wirtschaft­lichen und finanziellen Elite, stärkeren Einfluss auf die Gestaltung der Rahmenbedingungen zu bekommen.“ Das Unternehmerrisiko bringt es mit sich, dass in Boom-Zeiten die Unternehmenserträge überdurchschnittlich steigen, in Krisenzeiten dafür sinken. So erklärt der Bericht die steigende Lohnquote nach 2008 dadurch, dass „diese Periode gekennzeichnet ist durch ein relativ schwaches Wirtschaftswachstum, anhaltend hohe und steigende Arbeitslosigkeit und relativ beschei­dene unternehmerische Erträge.“ (Seite 238) Und so fragt man sich, ob nicht doch die Boom-Jahre mit sinkender Arbeitslosigkeit und sinkender Lohnquote besser waren als die Krisenjahre mit steigender Arbeitslosigkeit und steigender Lohnquote.

  • Entwicklung und Verteilung der Einkommen

Der Bericht empört sich über die angebliche Privilegierung von Kapitaleinkommen:

Seite 244: „Viel mehr noch werden diese (Kapital-)Einkommen mit einer 25-prozentigen Flat Tax besteuert, während die anderen Einkommen mit dem progressiven Einkommensteuertarif belastet werden. Auch hier gilt: Diese steuerliche Bevorzugung von Ka­pitaleinkommen ist vor allem für das oberste Prozent relevant – Haushalte darunter verfügen nicht über substanzielle Kapitaleinkommen, um von dieser Steu­erdifferenz zu profitieren.“

Der Bericht übersieht hier zweierlei: Erstens beträgt die Kapitalertragsteuer inzwischen 27,5 Prozent. Zweitens liegt die effektive Lohnsteuerleistung für Arbeitnehmer, wie der Bericht auf Seite 304 ausdrücklich anführt, bei nur elf Prozent (vor allem aufgrund zahlreicher Ausnahmen etwa der ersten 11.000 Euro pro Jahr). Die Kapitalertragsteuer belastet also stärker als die Einkommensteuer. Problematisch wird es, wenn der Bericht aus dem (falschen) Befund politische Forderungen nach neuen und höheren Steuern auf Kapital ableitet, wie auf Seite 263.

  • Entwicklung der Reallöhne

Der Bericht erklärt, warum die Durchschnittslöhne sich nur schwach entwickeln:

Seite 257: „Der starke Anstieg der Teilzeitbeschäftigung und befristeten Beschäftigungsverhältnisse von 13 Prozent im Jahr 1994 auf 28 Prozent im Jahr 2014 dürfte ein wichtiger Er­klärungsfaktor für diese Entwicklung sein.“

Der Faktor wirkt naturgemäß vor allem im untersten Einkommensviertel, das früher überwiegend Vollzeit-, nun nur mehr Teilzeitbeschäftigte umfasst. Das bestätigt auch der Bericht auf Seite 363. Nach dem allgemeinen Einkommensberichts 2016 des Rechnungshofs (Seite 30) stiegen die Löhne von Vollzeitbeschäftigten zwischen 2004 und 2015 trotz Krise real (d.h. nach Abzug der Inflation) um ca. 5,9 Prozent, die der Teilzeitbeschäftigten sogar um 13 Prozent. Trotz Krise und starker Zuwanderung ist der Anteil der Niedriglöhne nach dem Bericht auf Seite 369 zwischen 2008 und 2015 von 15,1 auf 14,3 Prozent gesunken.

  • Ungleichheit und Umverteilung

Der Bericht leitet auch viele Forderungen aus der ungleichen Verteilung von Vermögen ab. Schon auf Seite 5 ist von einer „extrem hohen Konzentration des Nettovermögens“ die Rede. Der Bericht beklagt fast, „dass die von der Bevölkerung wahrgenommene Ungleichheit geringer ist als die gemessene Ungleichheit“ (Seite 6). Das liegt aber wohl auch daran, dass mehr das Einkommen über den Lebensstandard entscheidet als das Vermögen. Wer in einer Mietwohnung lebt, kann sich evtl. sogar mehr leisten als der, der hohe Kredite für sein Wohneigentum zurückzahlt. Vermögen ist tatsächlich ungleich verteilt, wenn man die Ansprüche, die aus dem Wohlfahrtstaat entstehen, ausblendet. Berücksichtigt man Pensionsanwartschaften oder den Wert einer Sozialwohnung, zeigt sich ein anderes Bild. Und hier entsteht (ähnlich wie bei der „Armutsgefährdung“) ein „argumentatives Perpetuum mobile“: Der Wohlfahrtstaat, konkret eine starke erste Pensionssäule mit hoher Einkommensersatzrate, der soziale Wohnbau mit niedrigen Mieten, die Absicherung gegen Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, Armut etc. nimmt vielen Menschen den Druck und den Anreiz zur Vermögensbildung. Das erhöht die Vermögenskonzentration (sie ist in Wien am höchsten von allen Bundesländern). Diese Vermögenskonzentration führt im Bericht auf Seite 284 aber wieder zur Forderung nach noch mehr Umverteilung und Absicherung (und damit noch weniger Anreiz zur Vermögensbildung): „Geht es darum, die Mitte vor einem Abrutschen in die Prekarisierung zu bewahren und die Mitte als zent­ralen Bestandteil unserer Gesellschaft in ihrer Breite möglichst abzusichern, müssen die Haushalte, die im Hauptwohnsitz in Miete leben, wohlfahrtsstaatlich abgesichert werden.“ Nachhaltiger wären wohl Anreize zur breiten Vermögensbildung. Das ist aber offenbar nicht erwünscht, wie die abfällige Aussage über „Vorsorgegelder für Banken und Versicherungen“ (gemeint sind die 2. und 3. Pensionssäule) auf Seite 10 zeigt.

  • Einkommensumverteilung durch den Staat

Für das verfügbare Einkommen sank der GINI-Koeffizient, also das Ausmaß der Ungleichheit, von 2010 bis 2015 von 0,28 auf 0,27 (Seite 307, siehe Grafik). Österreich gehört damit zu den vier EU-Ländern, in denen Einkommen gleichmäßiger verteilt sind als früher, während in den meisten EU-Ländern die Ungleichheit steigt (Seite 309, 310).

  • Verteilung der Arbeitszeit

Einerseits sank der Anteil der Überstunden am Arbeitsvolumen von 2005 bis 2015 von 6,4 auf 4,5 Prozent. Andererseits nahm aufgrund des Trends zur Teilzeit die durchschnittliche Wochen­arbeitszeit im selben Zeitraum von 33,7 auf 30,9 Stunden ab (Seite 325). Hierzu heißt es im Sozialbericht: „Damit hat eine ‚individuelle‘ Arbeitszeitverkürzung und damit Arbeitsumverteilung stattgefunden.“

Wunsch erfüllt, könnte man angesichts der Forderung des Berichts nach Arbeitszeitverkürzung fast sagen. Jeder Unterschied etwa zwischen den Geschlechtern wird vom Bericht als „systematische Benachteiligung“ (Seite 7) hingestellt. Der Bericht hadert besonders damit, dass Frauen häufiger Teilzeit arbeiten und weniger Überstunden leisten. Dass dies meist den Wünschen der Betroffenen entspricht, wird nur einmal versteckt erwähnt. Erwähnt wird auch nicht, dass der Trend zur Teilzeit vom Staat massiv gefördert wird – in puncto Einkommensteuern, Sozialversicherungsbeiträgen und durch inzwischen sechs direkte geförderte Teilzeitmodelle. Der Bericht führt auf Seite 336 genau an, aus welchen Gründen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte wie viele Stunden gerne mehr oder weniger arbeiten würden. Eine Präferenz für mehr Arbeitszeit ist oft nicht realisierbar (etwa bei persönlichen, familiären Gründen, Krankheit, Ausbildung).

Dennoch wird im Bericht auf Seite 8 die Milchmädchenrechnung aufgestellt, dass bei Erfüllung aller Wünsche die Arbeitslosigkeit sinken würde. Das kann schon deshalb nicht stimmen, weil viele (vor allem Teilzeit-) Beschäftigte ihren Job verlieren würden, wenn viele Teilzeitbeschäftigte ihre Arbeitszeit aufstocken würden. Gleichzeitig bestätigt der Bericht jedoch, dass etwa drei Viertel der Arbeitnehmer keinen Änderungswunsch haben (Seite 337, Fn 221).

  • Arbeit 4.0

Hierzu heißt es im Bericht wie folgt:

Seite 12, 391: „Automation, Verlagerung von Arbeit und Selbstbedienung reduzieren bei niedri­gem Wachstum das Volumen der Erwerbsarbeit. An­gesichts der bereits hohen Arbeitslosigkeit ist eine Umverteilung der Arbeit in Form einer Arbeitszeitverkürzung dringend geboten.“

Seite 385: „Andere Studien gingen in eine ähnliche Richtung oder gaben eher Entwarnung. Ein Beispiel für Letzteres ist die Untersuchung von Arntz u.a. (2016), die zeigt, dass im Durchschnitt der 21 untersuchten OECD-Länder neun Prozent und in Österreich zwölf Prozent der Arbeitsplätze automatisier­bar seien.

Nach einer Studie des Instituts für Arbeits­markt- und Berufsforschung (IAB) über die Beschäf­tigungswirkungen von Industrie 4.0 in Deutschland (Weber 2015) werden bis 2020 250.000 zusätzliche Arbeitsplätze und der Wegfall von 260.000 Arbeits­plätzen erwartet. 2030 sollen 460.000 wegfallenden Arbeitsplätzen 400.000 zusätzliche gegenüberstehen. Das bedeutet, dass die Beschäftigungswirkungen im Saldo relativ gering sind, dass es aber einige Verschie­bungen in einer Vielzahl an Berufsfeldern geben wird.“

Daher ist erstens keineswegs klar, ob die technologische Entwicklung Jobs kostet (die historische und aktuelle Erfahrung zeigt eher das Gegenteil). Zweitens hat sich die Arbeitszeit in den letzten 20 Jahren ohnehin erheblich verkürzt (siehe oben).