Bis jetzt gibt es noch keine öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Wäschereien und den Textilservice. Die Textilchemieingenieurin Azita Mohseni will diese Lücke schließen.

Wer begutachtet im Schadensfall?
Mehr als 30 öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige gibt es laut Auskunft des Deutschen Textilreinigungsverbandes (DTV) derzeit in der professionellen Textilpflege. In Konfliktsituationen kann ihr Gutachten zwei Parteien zur außergerichtlichen Einigung verhelfen oder am Urteil des Gerichtes entscheidend mitwirken. Gerade Schäden, die zwar vor der Reinigung schon vorhanden, aber nicht sichtbar waren, lassen sich dem Verbraucher schlecht kommunizieren. Oft akzeptiert der Kunde einer Reinigung erst nach dem Gutachten des Sachverständigen, dass z.B. Wollschädlinge wie Motten die kahlen Stellen im Teppich verursacht haben und nicht die Reinigung. Überall wo Textilien bearbeitet werden, können Schadensfälle auftreten – das ist keineswegs nur in der Chemischreinigung. Auch in Wäschereien und im Textilservice passieren verschuldet oder unverschuldet Missgeschicke. Wie der Industrieverband Textilservice auf die Nachfrage von
RWTextil service mitteilt, tun sich die Beteiligten in diesen Bereichen auf der Suche nach einem Sachverständigen jedoch schwer. „Bisher gibt es für den Bereich Industriewäschereien und Textilservice noch keine öffentlich bestellten Sachverständigen, obwohl es nach unserer Beobachtung bei Reklamationen von Kunden durchaus schon einmal zu Konflikten zwischen Textilservice oder Wäscherei auf der einen und dem Konfektionär oder Gewebehersteller auf der anderen Seite kommen kann“, sagt Andreas Schumacher, Pressesprecher des Industrieverbandes Textil Service (intex).
Das könnte sich schon bald ändern. Die Textilchemieingenieurin Azita Mohseni hat sich jahrelang bei einem großen Textilservice-Dienstleister mit Geweben, Materialien und deren Waschbeständigkeit und Leasingfähigkeit beschäftigt. Seit vergangenem Jahr ist sie selbständige Beraterin und Sachverständige für Industriewäschereien, Textilservice und Chemischreinigung. Vom Bedarf an Sachverständigenleistungen für diesen Bereich ist sie überzeugt. Zwar kann man auch ohne öffentliche Bestellung und Vereidigung als Sachverständiger tätig sein, dennoch wünscht sich Mohseni, dass die Branche künftig auf öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Industriewäschereien und den Textilservice zurückgreifen kann. Die öffentliche Bestellung erleichtert die Suche nach fachlich und persönlich geeigneten Sachverständigen, weil diese von der bestellenden Stelle (das kann die Industrie- und Handelskammer [IHK] als auch die Handwerkskammer [HWK] sein) nach bestimmten Kriterien überprüft und überwacht werden.
Der Weg zur öffentlichen Bestellung und Vereidigung in einem neuen Bereich ist nicht leicht, der Prozess langwierig. Die IHK prüft jeden Schritt auf dem Weg zum Sachverständigen genau, um, wie sie mitteilt „Gerichten, Behörden, Wirtschaft und Allgemeinheit eine besonders zuverlässige glaubwürdige und fachlich besonders erfahrene Person zur Verfügung zu stellen.“ Wer die energiegeladene Unternehmerin von ihrer Vision und ihrer Branche sprechen hört, ist sich sicher, dass es am Durchhaltevermögen nicht scheitern wird.
Die erste Voraussetzung, die von der IHK geprüft wird, ist, ob der Bedarf für Sachverständigenleistungen in einem bestimmten Bereich vorhanden ist. Im zweiten Schritt wird geprüft, ob der Bewerber eine besondere überdurchschnittliche Sachkunde auf dem beantragten Gebiet nachweisen kann und für die Aufgabe auch persönlich geeignet ist.
Davon, dass die Branche Sachverständige für Industriewäschereien braucht, ist nicht nur Mohseni überzeugt. Sowohl intex als auch DTV geben der Jungunternehmerin Recht. „Für den Bereich der Textilreinigung im Privatkundengeschäft bieten einige Sachverständige ihr Wissen an, doch bei der Einschätzung der Wechselwirkungen zwischen Waschverfahren und Textilgut sehen wir noch eine Lücke. Insofern sehen wir einen Bedarf und würden es begrüßen, wenn es für die Industriewäschereien und den Textilservice ebenfalls öffentlich bestellte Sachverständige geben würde“, teilt uns intex in einer Stellungnahme mit.
Auch der DTV äußert sich ähnlich: „Insbesondere im Bereich Wäscherei/Industriewäscherei fehlt es der Branche an Fachkräften im Sachverständigenwesen. Der DTV unterstützt deshalb alle Bewerbungen zum vereidigten Sachverständigen. Da immer mehr Unternehmen hochwertige Textilien, wie PSA, OP-Textilien, Imagebekleidung und Funktionstextilien anbieten, um den qualifizierten Anforderungen der Kunden gerecht zu werden, ist auch die Nachfrage nach Fachkräften und Sachverständigen in diesem Bereich gestiegen“, sagt die Leiterin der Unternehmenskommunikation des DTV, Heike Fritsche.
Dieser erste Schritt der Bedarfsermittlung dürfte die größte Hürde sein. Für den zweiten Schritt, den Nachweis der besonderen Sachkunde, ist Mohseni gerüstet. In der Branche ist sie keine Unbekannte. Neben ihrer Tätigkeit als Beraterin und Gutachterin engagiert sie sich in verschiedenen Arbeitskreisen und Projektgruppen. „Wer einen Sachverständigen um Hilfe bittet, muss eine fundierte Antwort bekommen“, sagt Mohseni. Um den Anfragern ein optimales Ergebnis zu bringen, bezieht die Textilchemieingenieurin, die bereits seit ihrem Studium Gutachten erstellt, alles mit ein. „Eine visuelle Begutachtung des Schadenfalles reicht nicht aus“, erklärt sie. „Gegenüber dem Kunden ist das nicht vertretbar. Die Begutachtung ist ein ausführlicherer Prozess. Entsprechende Tests im Labor sind unerlässlich. Nur so kann eine Anfrage 100 prozentig beantwortet werden.“
Nicht zuletzt muss der Bewerber auch persönlich geeignet sein. „Schon geringe Bedenken der persönlichen Eignung reichen aus, um die öffentliche Bestellung zu versagen,“ schreibt die IHK Düsseldorf in ihrer Informationsschrift. Der Bewerber müsse aufgrund seiner persönlichen Eigenschaften Gewähr bieten, die Gutachtertätigkeit objektiv und unparteiisch auszuüben. „Man muss sich emotional trennen und über die Interessen der Beteiligten hinwegsehen“, sagt Mohseni. „Nur so kommt ein objektives Gutachten zustande“, so Mohseni
weiter.
Der Stein ist nun ins Rollen gebracht. Zu hoffen bleibt, dass die Kammern den Bedarf erkennen und die Gerichte bald keine Probleme mehr haben, den geeigneten Sachverständigen für Schadensfälle aus Wäschereien und Textilservice zu finden.
Vanessa Ebert