Interview Martin Kannegiesser: "Wir fühlen uns in Europa zuhause"

Als langjähriger Geschäftsführer eines führenden Technikunternehmens kennt sich Martin Kannegiesser mit Krisen und Rezessionen bestens aus. Ein Gespräch mit dem Kannegiesser-Chef über Chancen in der Krise, den europäischen Integrationsprozess und die Errungenschaften der sozialen Wirtschaft.

Martin Kannegiesser
Martin Kannegiesser, Geschäftsführer Herbert Kannegiesser GmbH. - © Kannegiesser
R+WTextilservice: Herr Kannegiesser, man hatte sich schon fast an die stabile Wirtschaftslage in der Textilpflege gewöhnt – das Coronavirus änderte dies schlagartig. Wie schätzen Sie die Lage in der Branche aktuell ein?

Martin Kannegiesser: Die Auslastung und die Beschäftigung in der Branche waren bis zur Coronakrise gut. Es war genügend Wäsche da. Das hat sich nun, in Teilen, geändert. In den Bereichen, in denen für Gastronomie und Hotellerie gearbeitet wird, sind Wäschereiunternehmen stellenweise ganz geschlossen. Da haben wir starke Rückgänge verzeichnet.

Im Augenblick haben wir also die Situation, dass, je nachdem zu welchem Anteil Betriebe Hotels beliefern, die Auslastung nicht mehr durchgehend so ist, wie in den vergangenen Jahren. Abgesehen von der Beschäftigungssituation könnte es zu Liquiditätsproblemen kommen. Die Hotellerie gilt sowieso nicht als starker Zahler.

Auswirkungen auf die Liquidität wird man in den nächsten Monaten noch spüren. Unabhängig davon ist es in der Branche seit längerer Zeit schwierig, Personal zu finden, ganz zu schweigen von gutem Personal. So haben wir ein Personal- und Produktivitätsproblem auf der einen Seite und ein Auslastungsproblem auf der anderen Seite. Mittel- und längerfristig sind wir allerdings davon überzeugt, dass die Branche zu der früheren, relativ stabilen wirtschaftlichen Situation zurückkehren wird. Ob das in den nächsten Monaten sein wird, oder ob es etwas länger dauert, kann man nicht wissen. Aber wir gehen mit Sicherheit davon aus, vor allem wenn wir die Investitionsplanung der Betriebe sehen, dass die Situation an die Lage, wie wir sie vor Corona hatten, anknüpfen wird.

Gibt es unter Ihren Kunden Wäschereien, die so schwer von der Krise getroffen sind, dass sie ihre Türen nicht mehr aufsperren werden?

Nein, das haben wir nicht. Es wurden auch keine Aufträge annulliert. Die Auftragseingänge sind schleppender geworden, hier und da besteht der Wunsch auf eine Verschiebung der Auslieferung.

Wie schwer ist das Unternehmen Kannegiesser von der Krise getroffen?

In unserem Unternehmen hatten wir in den letzten Jahren eine sehr gute Beschäftigungslage. Weltweit haben wir von vielen großen Projekten profitiert, d.h. von komplett neuen Projekten auf der grünen Wiese, aber auch von der Rekonstruktion bestehender Betriebe. Unsere Organisation ist stark auf dieses Großgeschäft ausgerichtet. Dabei haben wir es mit Aspekten der Wäschereidienstleistung im Ganzen zu tun. Dieser Prozess wird sich in den nächsten Monaten noch etwas verlangsamen, er wird allerdings kompensiert durch das Einzelmaschinengeschäft, das wieder stärker geworden ist. Die großen Projekte sind vor allem in den Entscheidungsprozessen etwas schleppender geworden. Das wird aber auch wieder kommen. Wir konnten die Beschäftigung nahezu halten, genauso wie unsere Präsenz in 54 Ländern.

Infolge der Krise wurde die "Texcare International 2020", ursprünglich geplant für den Juni, um mehr als ein Jahr verschoben. Tragen Sie diese Entscheidung mit?

Die "Texcare International" ist immer noch die technologische Schlüsselmesse der Branche. Die Verschiebung ist auf der einen Seite bedauerlich, auf der anderen ist eine Messe weder für die Besucher noch für die Aussteller sinnvoll, wenn sie mitten in Reiserestriktionen fällt. Wahrscheinlich wären 20 bis 30 Prozent der Besucher weggefallen. Es gibt Reiserestriktionen – ob nun psychologischer oder regulatorischer Art – und die werden bestimmt bis Ende des Jahres anhalten. In solchen Zeiten Messen durchzuführen, die nur alle 4 Jahre stattfinden, macht keinen Sinn. Also ist die Entscheidung, denken wir, richtig.

Die Verschiebung auf Ende nächsten Jahres hatte organisatorische Gründe. Die Hallen der Messe Frankfurt müssen verfügbar sein. Hätte man frei entscheiden können, ohne Rücksichtnahme auf bestehende Verpflichtungen der jeweiligen Messeorganisation, hätte wohl man das späte Frühjahr oder den Sommer nächsten Jahres genommen.

Vielleicht bietet sich nun die Gelegenheit, mehr Hausmessen zu veranstalten?

Wir führen seit Jahrzehnten traditionell Hausmessen durch. In einer Zeit, in der große, allgemeine Messen anstehen, machen wir das aber nicht. Das wäre keine Branchensolidarität, wenn große Hersteller beginnen, private Ausstellungen zu machen. Wir möchten die großen Messen nicht entwerten oder kleine Anbieter benachteiligen.

Wie zufrieden sind Sie mit den Hilfspaketen, die die Bundesregierung für Ihre Kunden, also für kleine und mittlere Unternehmen, auf den Weg brachte?

Als überzeugter Marktwirtschaftler bin ich grundsätzlich skeptisch gegenüber allen staatlichen und politischen Eingriffen in das Geschehen. Meistens führt das zu Verzerrungen. Werden Unternehmen spezifisch entlastet bei Steuern und Abgaben, dann ist damit gerade mittelständischen Unternehmen mehr gedient, als mit gezielten Förderungen für spezielle Branchen oder Teile der Branche. Das hat mit sozialer Marktwirtschaft auf Dauer nichts mehr zu tun.

Ein probates Mittel ist die Kurzarbeit, aber das ist kein Eingriff. Die Kurzarbeit dient dem Zweck, Arbeitslosigkeit und Entlassungen zu vermeiden. Und das ist wichtig, gerade in einem Industrieland, wie wir es sind. Mit unseren vielen Fachkräften und dem kollektiven Know-how wäre es eine Katastrophe, wenn wir mit Entlassungen arbeiten müssten. Wir haben sehr gute Ausbildungsquoten im Vergleich zu anderen Ländern. Verkürzt zu arbeiten, ist ein sehr vernünftiges Instrument, das kein anderes Land in der Form kennt. Wir konnten die letzten Krisen damit einigermaßen bewältigen, ohne unser Know-how zu verlieren.

Was halten Sie von der Senkungen der Mehrwertsteuer?

Das wird hier und da vielleicht im privaten Bereich etwas bringen, im B2B-Bereich bringt das nichts.

Welche Themen vermissen Sie im aktuellen politischen Diskurs?

Wir sollten wieder stärker einen Weg mit möglichst wenig staatlichen Eingriffen gehen. Das Durchsetzungsvermögen einzelner Lobby-Gruppen führt meist zu einem Nachteil anderer. Deshalb: Möglichst wenig Eingriffe. Diese Grundeinstellung für Wirtschaft und Politik zu haben, wäre speziell für Deutschland die richtige Linie. Zu viele Maßnahmen führen zu einer inkonsistenten Wirtschaftspolitik. Dabei war genau das eine der großen Errungenschaften Deutschlands vor Jahrzehnten: Wir haben versucht, auf direkte Eingriffe des Staates zu verzichten. Die Corona-Krise traf Deutschland in bereits rauen Zeiten.

Wie gut war die deutsche Wirtschaft, insbesondere die Textilpflegebranche, für die Krise aufgestellt?

Die deutsche Wirtschaft ist generell gut aufgestellt, wir stehen nicht umsonst weltweit gut da. Es gibt Bereiche, in den sind wir nicht so stark, in vielen sind wir aber ganz weit vorne. Und das ist eine Frage der Unternehmer, nicht für die Politik. Aber ich bin zuversichtlich, dass die Mehrheit der Betriebe das in den nächsten Jahren mit Energie weiterführen wird. So, wie wir es auch tun und in den letzten Jahren getan haben.

Wie kann es gelingen, dass die Textilpflegebranche so schnell wie möglich in gewohnte Bahnen zurückkehrt und wieder Fahrt aufnimmt?

Die Politik kann in einer so kleinen Branche nichts machen. Hier sind die Unternehmer selbst gefragt. Sie müssen in nächster Zeit darauf achten, dass ihr Eigenkapitalanteil wieder steigt. An dieser Stelle sind oft die stabilen Familienunternehmen solide und gut aufgestellt. Die größeren, die womöglich noch Aktienkurse pflegen und an Ausschüttungen denken müssen, sind anders aufgestellt, als Familienunternehmen, die eher in Generationen denken als von einem Bilanztermin zum nächsten. Und: Wir dürfen unsere Investitionspolitik nicht nach Konjunkturen richten.

Wir müssen langfristig denken. In unserem eigenen Unternehmen machen wir das genauso: Wir investieren in unserem Hauptwerk gerade etliche Millionen in eine Rationalisierung der Blechfertigung. Das hat mit Konjunktur nichts zu tun. Das sind Maßnahmen, die sich langfristig auf die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens auswirken. Die Textilpflegebranche muss auf diese langfristige, solide Investitionspolitik setzen, die auch generell für die Wirtschaft gilt. Diese Entwicklung können wir in den stabilen, größeren Familienunternehmen oft eher beobachten als in vom Kapitalmarkt abhängigen Unternehmen.

Ihre Kunden sind größtenteils Familienunternehmen.

Ja, das ist ein hoher Anteil. Wir bedienen aber alle Unternehmen, in den meisten Ländern haben wir Betriebe, die hauptsächlich im Objektwäschegeschäft tätig sind. Wir bezeichnen uns als "Technikpartner der Wäscherei", wir verkaufen keine einzelnen Maschinen, sondern Systeme, zu denen Softwarepakete und Förder- und Systemtechnik gehören. Insgesamt haben wir acht Produktionsbetriebe, in drei davon wird ausschließlich Förder- und Systemtechnik produziert. Das zeigt: Wir liefern immer mehr komplette, in sich geschlossene Systeme mit den dafür erforderlichen Konzepten. Und diese Konzepte werden mit den Kunden gemeinsam erarbeitet.

Die Krise trifft insbesondere junge Unternehmer hart. Dabei braucht die Textilpflegebranche Nachwuchs und frische Ideen. Wie könnten Jungunternehmer aus Ihrer Sicht besser gefördert werden?

Der Generationswechsel ist für jedes Unternehmen die schwierigste Phase. Der Übergang liegt erstmal an jedem Unternehmen selbst, z.B. ob man in der Familie geeignete Nachfolger findet. Wenn die nicht da sind oder nicht bereit sind, einzusteigen, dann bleibt in der Regel keine andere Möglichkeit, als das Unternehmen zu verkaufen oder es durch familienfremde Manager betreiben zu lassen. Die sind in der Textilpflegebranche schwierig zu finden.

Wir sind in der Öffentlichkeit wenig bekannt. Wenn wir es aber schaffen, jüngere Manager für die Branche zu gewinnen, dann stellen wir fest, dass die nach einigen Jahren außerordentlich begeistert sind von der Vielfalt, die die Branche bietet. Sie haben es mit Absatz- und Marketingfragen zu tun, sie haben es mit Technik zu tun und zwar mit vielen verschiedenen Bereichen. Sie haben es mit Personalführung zu tun. Es ist also eine spannende Branche, das muss man den jungen Leuten nur erklären und zeigen. Dann sind sie nach einigen Jahren gar nicht mehr bereit, zu wechseln.

Sie merken, dass ein solches Dienstleistungsunternehmen viel spannender ist als manches Produktionsunternehmen, das von außen wahnsinnig toll erscheint, aber wenig bietet, wenn man genauer hinschaut, z.B. in der der Autoindustrie. Wer sich sein ganzes Berufsleben mit einzelnen Teilen eines Lenkers beschäftigen muss, findet das nicht so spannend wie die gesamte Vielfalt eines Dienstleistungsunternehmens mit viel Technik. Es ist spannend. Und es ist vielfältig.

Haben Sie selbst Nachwuchsprobleme?

Wir haben ein gutes Management, das wir immer wieder verjüngt haben. Verjüngung ist kein Selbstzweck. Wir bilden traditionsgemäß auch seit Jahrzehnten aus und wir arbeiten eng mit Universitäten und Hochschulen aus der Region zusammen. Wir veranstalten seit 15 Jahren sogenannte Hochschultage, an denen wir die anstehenden Absolventen von Hochschulen einladen. Wir tun in diesem Bereich recht viel und haben deshalb auch einige junge Leute gewonnen, gerade für die Entwicklung und die Konstruktion. Diesen Weg werden wir weitergehen, zehn Prozent unserer Belegschaft sind Auszubildende.

Der deutsche Maschinenbau profitiert von der EU, trotzdem sind die Belastungen für Deutschland als größten Nettozahler hoch. Geplant ist eine Beitragserhöhung um bis zu 42 Prozent. Lohnt es sich, an der Europäischen Union festzuhalten?

Der europäische Integrationsprozess ist eine der wichtigsten Aufgaben meiner, unserer Generation. Wir hätten in Europa weder den Wohlstand, noch den Frieden bewahrt, wenn es nicht zu diesem Prozess gekommen wäre. Das ist eine hervorragende Motivation für die Zukunft. Europa ist heute unser Heimatmarkt. Das ist nicht mehr nur Deutschland. Deutschland ist innerhalb der Europäischen Union ein ganz wichtiges Glied, aber für uns ist Europa und der europäische Einigungsprozess von enormer, von zentraler Bedeutung.

Wenn wir uns auf Dauer gegen die großen Blöcke, gegen Asien, gegen die USA, durchsetzen wollen und unseren Lebensstil und unsere Kultur erhalten, dann geht das nicht ohne den europäischen Einigungsprozess. Dieser Prozess hat auch nicht nur wirtschaftliche Bedeutung. Er hat gesellschaftliche, kulturelle Bedeutung und ist eigentlich die entscheidende Chance für uns hier in Europa. Wir fühlen uns als Unternehmen in Europa zuhause. Wir fühlen uns in Frankreich ebenso zuhause wie in Großbritannien und in Italien. Die gehören zu uns und wir gehören zu denen.

Wie groß schätzen Sie die Konkurrenz aus China für Ihr Unternehmen langfristig ein?

Wir nehmen das ernst. Wir haben momentan noch große Vorsprünge. Wir sind in der Phase, in der sie versuchen, uns zu kopieren – in jedem Detail. Wir selbst haben eine Service- und Vertriebsfirma in Shanghai. Wir haben uns bislang aber nicht dazu entscheiden können, in China zu produzieren. Wir wollen die Entwicklung und die Produktion hier halten.

Wir sind eine enge Branche und brauchen die Anbindung an unsere Kunden. Wo wir entwickeln, müssen wir uns heimisch fühlen. In Bezug auf die Lohnkosten haben wir Untersuchungen gemacht. Natürlich ist Asien immer noch sehr attraktiv, aber das ändert sich. Die Kosten steigen auch dort, sogar wesentlich stärker als hier. Allerdings sie sind immer noch ein großes Stück von uns entfernt. Außerdem haben wir festgestellt: Unsere Produktivität hierzulande im Vergleich zu China oder Thailand, wo wir auch eine Tochterfirma haben, liegt bei 1 zu 5. Das heißt, wir haben hier die fünffache Produktivität im Vergleich zu Asien.

Unsere Branche ist eine Spezialbranche – mit kleinen, individuellen Stückzahlen ohne Massenlieferungen, sondern mit Gesamtlösungen. Wir arbeiten kundenbezogen und müssen ganz nah dran sein und den später folgenden Service modern handhaben. Das ist in einer so überschaubaren Branche für Chinesen in Europa viel schwieriger. Die Branche lebt von Verfügbarkeit. Unterbrechungen sind der Tod eines Textilpflegeunternehmens, wir müssen Verfügbarkeit liefern.

Bis die Chinesen in einem solchen Spezialsektor Partner werden, ist es noch ein weiter Weg. Das darf uns aber nicht einschläfern, wir beobachten die Entwicklung in China sehr genau. Deshalb sind wir dort auch mit 50 Leuten vertreten. Es ist ein mittelgroßer Markt für uns, den wir regelmäßig beliefern. Wir haben gute Kunden und Beziehungen und das möchten wir nicht missen. Wir nehmen auch jeden Konkurrenten ernst. Aber im Augenblick denke ich, können Vorteile anbieten, welche die Chinesen nicht haben. In jeder Krise stecken Chancen.

Welche Chancen sehen Sie für die Textilpflegebranche?

Die jetzige Krise ist zunächst eine Chance, der breiten Bevölkerung deutlich zu machen, dass textile Hygiene ein ganz wichtiges Thema ist und durch Profis gehandelt werden muss. Das kann nicht irgendwo im Keller gemacht werden. Das Image der "Profis für die textile Hygiene" kann im Marketing neuen Schwung geben, der auch genutzt werden sollte. Und: Unternehmer sollten die Chance nutzen und den Kunden zeigen, welche technischen Möglichkeiten sie nutzen. Es sollte nicht bei Sprüchen bleiben. Die Unternehmer müssen zeigen, wie sie die Sicherheit der textilen Hygiene herstellen, wie sie die Pünktlichkeit der Lieferungen garantieren, was sie da machen und was sie investiert haben. Dadurch können sie ganz nah an den Kunden herankommen. Diese Chance sehe ich in diesen Wochen und Monaten.