Zunehmende Energieverknappung, die demographische Entwicklung sowie Hinweise auf klimatische Änderungen geben Anlass, bei der Forschung die Nachhaltigkeit von Produktionsprozessen stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Dementsprechend facettenreich waren die Themen auf der Jahrestagung des Forschungskuratoriums Textil im November 2006 in Dresden.
Nachhaltig durch Innovation
130 Teilnehmer aus ganz Deutschland besuchten die Jahrestagung des Forschungskuratoriums Textil in Dresden, um sich u.a. Vorträge von Wissenschaftlern anzuhören. Über die Verwendung von beschichteten Abstandstextilien für die Gewinnung thermischer Energie als Alternative zu konventionellen Solarkollektoren berichteten Dr. Thomas Stegmaier vom Institut für Verfahrenstechnik, Denkendorf, und Dipl.-Ing. Jannis Stefanakis, Geschäftsführer der Solar Energie, Stadecken.
Solarkollektoren aus Glas sind nicht nur starr, sondern auch bruchgefährdet und schwer. Deshalb wurden Möglichkeiten für die Herstellung neuer Systeme untersucht und mittlerweile auch Produkte entwickelt, die sich durch Flexibilität und Mobilität auszeichnen und somit an beliebigen Orten installiert werden können. Nur ein interessantes Beispiel ist die Aufstellung in Krisengebieten. Die Natur hat verschiedene Lebewesen mit „Sonnenkollektoren“ ausgestattet. So unter anderem den Eisbär, der für die Entwicklung „Pate stand“. Dr. Stegmaier: „Das geschlossene Fell des Tieres besteht aus farblosen Fasern. Die schwarze Haut und die Fettschichten fangen das Sonnenlicht ein und sind gute Wärmeisolatoren.“
In einer Forschungsarbeit wurde analog zum Eisbärfell ein mit transparentem Silikonkautschuk beschichtetes Abstandsgewirke auf Basis lichtleitender Polymerfasern entwickelt. Diese sind für einfallendes Licht im sichtbaren Spektrum transparent, sperren jedoch UV-Strahlen und reduzieren den Wärmeverlust durch Konvektion.
Um das Silikon vor Verschmutzung zu schützen, wurde es oberflächenvergütet. Auf der anderen Seite wird das Textil mit einer schwarzen, wärmeabsorbierenden Schicht ausgestattet. Die technischen Daten des Verbunds entsprechen in etwa den Werten konventioneller Systeme. Die Lichtdurchlässigkeit beträgt 80 bis 95 Prozent. Jannis Stefanakis stellte u.a. einen Halbkugelkollektor mit textiler Abdeckung vor, den er in 17-jähriger Forschungsarbeit entwickelt hat. Die Oberfläche der Halbkugel ist nach allen Seiten exponiert und kann deswegen ein Maximum an Licht absorbieren. Das System hat sich bei der Warmwasseraufbereitung bewährt und kann die Temperatur 24 Stunden halten. Für größere Anlagen wie z.B. Schwimmhallen können mehrere Halbkugelkollektoren installiert werden. Eine weitere interessante Variante mit geringem Platzbedarf ist der „Energiebaum“, auf dessen „Ästen“ mehrere Halbkugeln installiert sind.
Flächenkollektoren, aber auch transportable Kompaktanlagen für den Einsatz beim Camping, auf Booten oder in Katastrophengebieten stehen für die Vielfalt von Möglichkeiten, Sonnenenergie zu nutzen. Schlauchsysteme können auch auf schwierigem Gelände eingesetzt werden. Sogar an Hausfassaden ist die Installation von textilen Sonnenkollektoren möglich, wie ein weiteres Beispiel des Referenten zeigte. Im Hinblick auf die zunehmende Verknappung fossiler Brennstoffe eine echte Perspektive für die Textilbranche. Dr. Jürgen Mecheels vom Bekleidungsphysiologischen Institut Hohenstein, Bönnigheim, gab einen Überblick über innovative Medizintextilien mit neuen Funktionalitäten. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Lebenserwartung und dem aktuellen Wellnesstrend nimmt deren Bedeutung zu. So sind z.B. Kompressionsstrümpfe, antibakterielle Textilien für Neurodermitiker sowie Abstandsgewirke für die Dekubitusprophylaxe und Barrieretextilien für die Verwendung in der Chirurgie längst unverzichtbare Hilfsmittel.
Darüber hinaus können heute Wirkstoffe in Textilien mit Depotstrukturen sowie in Drug-Delivery-Systemen verankert werden. Dadurch lassen sich neue therapeutische Möglichkeiten erschließen. Intelligente Textilien werden in der Überwachung von Patienten eingesetzt. Nur ein Beispiel sind Orthesen mit elektronischen Systemen, welche eine therapeutisch günstige Position des Patienten etwa nach der Implantation einer Knie-Endoprothese überwachen können.
Ein nicht minder wichtiger Aspekt ist die Behandlung chronischer Wunden mit Hilfe antiadhäsiver Abdeckungen aus natürlichen Rohstoffen. Bei rechtzeitiger Applikation von „Biobags“ kann bei Diabetikern sogar die Amputation von Extremitäten verhindert werden. Der Referent berichtete in diesem Zusammenhang über eine optimierte Madentherapie: Die Hohlfilamente der „Biobags“ dienen als Depots für den Wunden sanierenden Wirkstoff einer speziellen Made. In der Vergangenheit sind die Tiere direkt auf die Wunden appliziert worden. Eine weitere Neuentwicklung unter den Medizintextilien sind Allergikermatratzen mit thermischem Wirkprinzip. Wilhelm Dehner von der Firma Zimmermann in Simmerberg/Westallgäu berichtete in diesem Zusammenhang über den Einsatz leitfähiger und elastischer Heizpads in Matratzen zur Reduktion von Hausstaubmilben, deren Exkremente allergische Reaktionen provozieren können. Die Tiere nehmen die lebensnotwendige Feuchtigkeit aus der Umgebung auf anstatt zu trinken. Wilhelm Dehner bestätigte, dass Milbenpopulationen durch Temperaturen um 49 °C signifikant verringert werden. Mit einer Rate von 40 Prozent war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Infektionsrisiko bei Operationen ausgesprochen hoch. 2006 lag die durchschnittliche Rate nosokomialer Infektionen nur noch bei 3,2 Prozent. „Berücksichtigt man aber, dass in Deutschland pro Jahr acht Millionen chirurgische Eingriffe durchgeführt werden, ist diese Zahl immer noch entschieden zu hoch“, gaben Dr. Beata Lehmann vom Institut für Textil- und Bekleidungstechnik der Technischen Universität Dresden und Sven Schöppe von Intex, Eschborn, zu bedenken. Eine weitere Aufgabe der Barrierewirkung in OP-Textilien ist die Verhinderung von Keimübertragungen auf das OP-Team im Sinne des Arbeitsschutzes.
Die Referentin berichtete über eine ganzheitliche Untersuchung und Bewertung innovativer OP-Sets hinsichtlich hygienischer, ökologischer, ökonomischer und sozialer Kriterien über den Lebenszyklus im Rahmen eines laufenden BMBF-Verbundvorhabens (BMBF = Bundesministerium für Bildung und Forschung). Der Vergleich zwischen Mehr- und Einwegtextilien ergab eine höhere Leistungsfähigkeit der Mehrwegprodukte.
Werden bei „Standard Performances“ Textilien aus Mikrofilamentgewebe genutzt, so sind bei „High Performances“ – Operationen mit hohem Flüssigkeitsverlust – Trilaminate das Material der Wahl. Beide haben mit durchschnittlich 70 Nutzungszyklen eine lange Lebensdauer. Die Regenerierung der Barrierewirkung ist Aufgabe des Dienstleisters. Angesichts eines gesamten Jahresumsatzes von 200 Mio. Euro für Ein- und Mehrwegprodukte seien Mehrwegtextilien ein interessanter Markt, unterstrich Sven Schöppe. Allerdings gewährleiste nur die Verwendung validierter Produkte in validierten Prozessen eine stets gleich bleibende und die Normen erfüllende Barrierewirkung.
Zudem sei sowohl ein in- als auch ein externes Monitoring unerlässlich. Durch genaue Kenntnis der Produkte, der Anforderungen an deren Barrierewirkung, ihrer Lebenszyklen sowie der Prozesseinflüsse sei der Dienstleister auf der sicheren Seite und wettbewerbsfähig.
Vor dem Hintergrund steigender Energie- und Wasserkosten und gleichzeitig zunehmender normativer Anforderungen besteht Forschungsbedarf zur Entwicklung nachhaltiger Wiederaufbereitungsprozesse, die trotz reduzierten Einsatzes an Wasser, Wärmeenergie sowie Wasch- und Hilfsmitteln eine Sicherstellung der jeweiligen Qualitätskriterien gewährleisten und die Lebensdauer der Textilien nicht beeinträchtigen.
Zu dieser Fragestellung berichtete Prof. Dr. Hans Günter Hloch vom wfk – Forschungsinstitut für Reinigungstechnologie, Krefeld, über zwei BMBF-Verbundprojekte, in deren Rahmen Untersuchungen zur Reduzierung des Ressourcenverbrauchs von Wiederaufbereitungsverfahren durchgeführt worden sind. Der Schwerpunkt liegt in der Entwicklung spezieller Verfahren zur wirtschaftlichen Erreichung sachgerechter Partikelgehalte für OP-Textilien bei optimiertem Bedarfsmitteleinsatz. Insbesondere durch Anpassung der Waschmechanik wurden Aufbereitungsverfahren für Krankenhaustextilien mit reduziertem Verbrauch an Wasser, Wärmeenergie und Waschmittel entwickelt, die bei gleichzeitiger Schonung der Textilien den Normen entsprechende Ergebnisse zeigen.
Bisherige Versuche, den Prozess für OP-Textilien zu optimieren, weisen ebenfalls auf deutliche Verringerungsmöglichkeiten im Wasserbedarf sowie im Wasch- und Hilfsmittelverbrauch unter Einhaltung des sachgerechten Partikelgehalts hin.
Für die Zukunft sieht der Referent Forschungsbedarf im Bereich neuer, nachhaltiger Wiederaufbereitungsverfahren für die Erneuerung und den Erhalt textiler Funktionalität und Hygiene; u.a. kommen dafür neue physikalische, chemische und biochemische Aufbereitungsprozesse in Frage. Zudem sei die Entwicklung kostengünstiger Monitoring-Systeme notwendig, die auch in der internen Eigenkontrolle eingesetzt werden können. Schließlich könne auch durch ein Wasser- und Energiemanagement durch Simulationsverfahren die Nachhaltigkeit verbessert werden.
Andreas Langer von der Herbert Kannegiesser GmbH, Vlotho, berichtete über Untersuchungen zum Einfluss der schwenkenden und der rotierenden Waschmechanik auf den Prozess. Es stellte sich heraus, dass durch das Waschen in rotierenden Trommeln die Wasch- und Spülwirkung verbessert wird. Gleichzeitig kann dabei dem Sinnerschen Kreis gemäß Zeit, Wärmeenergie oder Chemie eingespart werden. In der Vergangenheit sei das Rotierverfahren überwiegend für die Bearbeitung von Tisch- und Berufswäsche angewandt worden. Heute wisse man, dass auch Krankenhauswäsche sowie Wäsche für Alten- und Pflegeheime und andere Textilien mit dieser Mechanik gewaschen werden kann, ohne eine erhöhte Schädigung zu riskieren.
Durch Maßnahmen zur Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs – unter anderem durch Verringerung der Masse – und die Erfüllung der Altfahrzeugverordnung werde auch für Individualfahrzeuge die gewünschte Nachhaltigkeit erreicht, stellte Dr. Holger Erth vom Sächsischen Textilforschungsinstitut, Chemnitz, fest. Altfahrzeuge würden nahezu komplett wieder verwendet. Leider spielten aber die Textilien dabei noch nicht die Rolle, die ihnen eigentlich zukommen sollte.
In der Automobilproduktion würden heute Kunststoffe durch Textilien ersetzt. Ferner bedinge die Erhöhung des Ausstattungsgrads eine stärkere Verwendung von Textilien. Auch schirmten Textilien elektronische Komponenten ab und schließlich übernähmen sie völlig neue Funktionen als Flächentrennstellen, Oberflächen sowie die Verbesserung der Akustik, so der Referent. Dieser Trend berge Chancen für die Textilindustrie. So könne zum Beispiel textiles Recyclingmaterial in die Fahrzeugproduktion integriert werden. Durch die Nutzung von Produktionsabfällen könne man Kostenneutralität und Qualitätskonstanz erreichen.
Dr. Erth stellte ein gemeinsames Forschungsprojekt von ITA, TFI und STFI vor, in dem Herstellungstechnologien für Formteile für PKW-Dachhimmel unter Verwendung von Polypropylen-Reißfasern aus recyclierten Altteppichen und nachwachsenden Faserstoffen entwickelt worden sind. Vorteile der Produkte sind unter anderem ein geringes Gewicht und die Wiederverwertbarkeit. Durch die produktintegrierte Entwicklung können Energie und Rohstoffe eingespart werden.
Die Institute untersuchten ferner erste Grundsatzlösungen zur Unterstützung der „Konstruktion“ als Leitgedanke im AiF-Verbundprojekt „Flächentrennstellen“. So ist es z. B. möglich, im Bereich der Fußbodenisolation mit einfachen Mitteln wertvolle Produktbestandteile nahezu sortenrein wiederzugewinnen.
Eine weitere durch das STFI in Zusammenarbeit mit der Textilindustrie entwickelte Lösung ist der Einsatz von polymergleichen Verbunden mit vielfältigen Funktionen für den PKW-Innenraum. Bisher bestehen diese Materialien aus einem Verbund von textilen Flächen mit einem Kunststoffteil.
Das Polymer Polypropylen hat ein geringes spezifisches Gewicht und wirkt sich somit vorteilhaft auf die Masse aus. Für das Recycling von Produktionsabfällen oder der Produkte gibt es verschiedene Lösungen. Der Referent stellte einen Polsterverbundstoff sowie eine ABC-Säulenverbindung aus polymerreinem Material vor. Im Anschluss referierte Prof. Dr. Thomas Gries vom Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen über Neuentwicklungen in der Prozesskette textiler Fertigungsverfahren.
Reinhard Wylegalla