STFI-Thementag in Chemnitz Zirkularität ist möglich – aber nicht bis 2030!

Das Sächsische Textilforschungsinstitut (STFI) hat eine lange Tradition beim Faserrecycling. Anlässlich eines ­einmal jährlich stattfindenden Thementags teilt es seine Erfahrungen mit interessierten Unternehmen. Im Herbst 2024 standen Technologien für die textile Kreislaufwirtschaft auf der Agenda der Veranstaltung. In Vorträgen und einem sich anschließenden Rundgang durch das großräumige Technikum wurden ­unterschiedliche Aspekte und Praxisbeispiele einer zirkulären Textilindustrie beleuchtet.

Textile Reste werden im Technikum des STFI unter anderem zu diversen ­Vliesstoffen recycelt.
Textile Reste werden im Technikum des STFI unter anderem zu diversen ­Vliesstoffen recycelt. - © Sabine Anton-Katzenbach

Das STFI in Chemnitz beschäftigt sich bereits seit den 1980er Jahren mit dem mechanischen Recycling von textilen Produkten und hat sich auf diesem Gebiet eine einzigartige Expertise erarbeitet. In einem mit modernen Anlagen ausgestatteten Technikum entwickeln die Wissenschaftler Lösungen zur Rückgewinnung und Wiederverwendung unterschiedlichster Textilprodukte.

Die Möglichkeiten, die dem Institut dafür zur Verfügung stehen, sind groß. So gibt es in Chemnitz einen eigenen Bereich, in dem von Auftraggebern ­angelieferte Textilreste und Altkleider bis 100 kg ­maschinell geschnitten oder gerissen werden können.

Die Qualität der erzeugten Fasern bestimmt dann die weitere Verarbeitung: Sie können anschließend zu Wirrvliesen weiterverarbeitet werden oder in der voll ausgestatteten Spinnerei zu Garnen oder Zwirnen versponnen werden, aus denen Kooperationspartner dann textile Flächengebilde herstellen. Da Recyclatfasern bei der Integration in gängige Textilverfahren zu Problemen führen können, beschäftigen sich die Forscher des STFI auch mit der Weiterentwicklung bestehender und der Entwicklung neuer Technologien.

Weitere Schwerpunkte liegen in der Erarbeitung von Kreislaufwirtschaftskonzepten und zirkulärem Design. Zudem teilt das Institut seine Erfahrungen auf dem Gebiet des Recyclings bei einem jedes Jahr im Herbst veranstalteten eintägigen und kostenlosen Branchenaustausch. Der jüngste Thementag fand Ende November 2024 in Chemnitz statt und stand unter dem Motto „Technologien für Textile Kreislaufwirtschaft“.

Recyclingmöglichkeiten sinnvoll nutzen

In seiner Begrüßungsrede ging Johannes Leis, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Textilrecycling, Kreislaufwirtschaft, Textile Nachhaltigkeit im STFI, auf die bevorstehende Umwälzung der Textilindustrie durch den von der Europäischen Kommission beschlossenen Green Deal ein. Die Politik, so sein Credo, hat mit den daran gebundenen Regularien die Weichen für die Zukunft gestellt. Bis zum Jahr 2030 sei die vollständige Umsetzung der Regularien zur textilen Kreislaufwirtschaft nach heutigem Stand aber nicht realisierbar. Vor allem müsse man von dem Gedanken Abstand nehmen, dass sich aus recycelten Textilien wieder Produkte mit dem ursprüng­lichen  Verwendungszweck herstellen ließen. Es gäbe adäquate Alternativen, um dem Wunsch der EU nachzukommen. Bei der Entwicklung von entsprechenden Lösungsansätzen ist das Institut in Chemnitz behilflich, da es über diverse technische Möglichkeiten zum Recycling von Textilien verfügt.

Das STFI verfügt über eine vollstufige Spinnerei, in der geeignete Recycling-fasern zu Garnen oder Zwirnen weiterverarbeitet werden können.
Das STFI verfügt über eine vollstufige Spinnerei, in der geeignete Recycling- fasern zu Garnen oder Zwirnen weiterverarbeitet werden können. - © STFI

Hanf als ökologisch hochwertige Faser

In seinem Vortrag wies Dr. Jörg Morgner, Geschäftsführer der auf Nonwoven, Air-engineering und Naturfaserverarbeitung spezialisierten Temafa Maschinenfabrik in Bergisch Gladbach, auf die Rolle von Fasern für nachhaltige Textilien hin. In Hanf sieht er einen wichtigen Rohstoff, dieses Ziel zu erreichen. Im Vergleich zur Baumwolle absorbiert die Bastfaser nicht nur etwa die doppelte Menge an Kohlendioxid, sondern erzeugt auch deutlich mehr Biomasse. Darüber hinaus sind sämtliche Bestandteile der Pflanze verwertbar: Neben den Fasern, die hierzulande ausschließlich zu Vliesstoffen verarbeitet werden, entstehen wertvolle Schäben, die in ganz anderen Bereichen begehrt sind: Als Einstreu in der Tierhaltung, als Dämmstoff im Baugewerk oder in der Papierindustrie. Aufgrund ihrer positiven ökologischen Eigenschaften haben Hanf- bzw. Bastfasern, so seine Überzeugung, das Zeug zum Megatrend.

Von Reparieren bis biologisch abbauen

Im Anschluss präsentierte Rolf Heimann, Geschäftsführer und Vorstand der Hessnatur Stiftung (Berlin) die „7-Loop-Marix zur Kreislaufwirtschaft“. Sie kombiniert die Zirkularitätsgrundsätze der EU (Reparieren, Weiternutzung, Recycling, Upcycling) mit dem Cradle-to-Cradle-Prinzip der biologischen Abbaubarkeit. Anhand dieser sieben Konzepte könne jedes Unternehmen eine individuelle Kreislaufstrategie entwickeln, was er anhand verschiedener Beispiele demonstriert.

So hat der  US-amerikanische Outdoor-Bekleidungshersteller Patagonia einen fahrbaren Reparaturservice auf die Straße gebracht. Die Kunden können defekte Kleidung dort in Ordnung bringen lassen. Für das Reuse-Konzept nannte er das Konzept von Mud Jeans aus den Niederlanden als Beispiel: Das Unternehmen bietet ein 12-monatiges Leasingmodell für Jeans mit der Option an, diese nach Ablauf des Vertrags zurückzugeben, gegen ein frisches Paar zu tauschen oder sie zu behalten. Für das Recycling führte er hingegen das Model „Circular Business Textiles“ (Cibutex, Amsterdam) an, das Alttextilien aus dem Textilservice in den textilen Kreislauf zurückbringt.

In dem Twin Card Opener des STFI werden vor­gerissene Textilabfälle fasergerecht aufgelöst.
In dem Twin Card Opener des STFI werden vor­gerissene Textilabfälle fasergerecht aufgelöst. - © Sabine Anton-Katzenbach

Konsequentes Öko-Design

Im Rahmen des Green Deals wird viel über Öko-Design gesprochen. Dem mehr­fach ausgezeichneten Unternehmen Sumo Baby mit Sitz in Berlin ist dessen Umsetzung mit Unterstützung des STFI gelungen. Die beiden Gründer, Luisa Kahlfeldt und Caspar Böhme, sind angetreten, den pro Kind entstehenden Abfallberg von ca. 5.000 Einwegwindeln auf einen Bedarf von etwa 8 Mehrwegwindeln zu reduzieren. Dies gelingt durch ein Baukastensystem aus einer textilen Windelhose, die auf der Außenseite nässedicht und auf der Hautseite feuchtigkeitsabsorbierend ist. In die Windelhose wird ein hoch absorbierender Innenlayer aus Hohlfasern zur Aufnahme des Urins eingelegt. Beide Textilschichten sind waschbar; sie werden nach Gebrauch in einer speziell entwickelten Tasche in die Waschmaschinen gegeben. Das „große“ Geschäft bleibt draußen: es wird von einem in die Windel eingelegten Einwegliner aufgenommen und in der Toilette weggespült.

Nach dem großen Erfolg des im Jahr 2020 gelaunchten Sumo-Mehrwegwindelsystems wollen die beiden Gründer nun die nächsten Schritte in Richtung Zirkularität gehen und denken unter anderem über die Einführung eines Mietsystems für ihr Produkt nach. Im nächsten Schritt könnten dann vielleicht waschbare Erwachsenenwindeln, im übernächsten Schritt leasinggeeignete Mehrwegwindeln folgen. Damit könnte das Gesundheitswesen einen großen Schritt in Richtung Abfallvermeidung unternehmen.