Internationale Baumwollkonferenz Bremen Baumwollkonferenz: Berechtigte Kritik?

Die Anzahl an Regularien, die in der Textilindustrie für mehr Nachhaltigkeit sorgen wollen, steigt. Doch mit der Flut werden auch immer mehr Lobbyisten in die Gremien gespült, was zu einer Verwässerung gut gemeinter Ziele führt. Dabei kommt es, wie die diesjährige Baumwollkonferenz in Bremen gezeigt hat, zu echten Stilblüten: Im Ranking des Europäischen Lieferkettengesetztes könnte Polyester Platz 1 der umweltfreundlichen Fasern belegen. Daher wundert es nicht, dass sich die Baumwollindustrie gegen diese und andere Mythen stemmt.

Das Bild zeigt die Bühne der Internationalen Baumwollkonferenz Bremen 2024 mit Publikum.
Auf der Internationale Baumwollkonferenz Bremen 2024 wurden auch kritische Stimmen laut. - © Bremer Baumwollbörse/heidmannfotografie.de

Alle zwei Jahre findet in der ehrwürdigen Handelsstadt an der Weser die Internationale Bremer Baumwollkonferenz statt. Meistens geht es bei der dreitägigen Vortragsveranstaltung, die zwei Tage zuvor mit dem Austausch wichtiger Verbände beginnt, um Marktentwicklungen und -trends sowie Verbesserungen bei Anbaumethoden, Saatgut, Klassifizierung und Prüftechniken von Baumwolle. In der jüngeren Vergangenheit standen außerdem Themen wie Nachhaltigkeit und Recycling auf dem Programm.

Auch der diesjährige Ablauf der vom 20. bis 22. März 2024 abgehaltenen Konferenz ließ keine Abweichungen zu den Vorgängertreffen erwarten. Doch es kam anders…

Internationale Baumwollkonferenz Bremen 2024: Die Kritik

Während der Key Note-Sessions wurden ungewohnt kritische Töne laut, die sich unter anderem gegen politische Entscheidungsträger und den Lobbyismus der chemischen Industrie richteten. So wurden gleich in mehreren Vorträgen Bedenken bei der Bewertung textiler Fasern im Hinblick auf ihre ökologischen Auswirkungen sowie deren Verträglichkeit mit den UN-Nachhaltigkeitszielen (SDGs) und den Pariser Klimaabkommen geäußert.

Problem: Fasern ökologisch einordnen

Die für die ökologische Zuordnung von Fasern angewendeten Werkzeuge, darunter die Life Cycle Analysis (LCA), würden Äpfel mit Birnen vergleichen. Einerseits würden Naturfasern, die in landwirtschaftlicher Produktion angebaut werden, mit industriell und aus Erdöl hergestellten Synthesefasern verglichen. Dadurch entstehe ein Ungleichgewicht zu Lasten der Naturfasern, deren Verwendung von Dünger, Pestiziden und Wasser – sofern sie künstlich bewässert wird – in die Waagschale geworfen werden. Die Förderung des Erdöls würde aber bei den Synthesefasern gerne übersehen.

Stilblüten: Polyester nachhaltiger als Wolle?

Möglicherweise hat diese Betrachtungsweise die in Frankreich ansässige Kering Group, ein börsennotierter französischer Luxusgüter-Konzern, dazu bewogen, Polyester als die nachhaltige Faser schlechthin zu bewerten und Wollfasern in die letzten Ränge zu verweisen. Ein Tool, auf dem die fragwürdige Bewertung basiert, bleibt das Unternehmen allerdings schuldig. Dieser Umstand scheint Entscheidungsträger in Europa nicht weiter zu irritieren – Frankreich hat das Faserranking seines Luxuskonzerns bereits übernommen und die auf Nachhaltigkeit in der Mode spezialisierte Veronica Bates Kassatly (London) schloss in ihrem Vortrag nicht aus, dass die Kering-Daten auch in das Europäische Lieferkettengesetz Eingang finden könnten. Dann müssten Unternehmen Wasserverbrauch, Düngemittel- und Pestizideinsatz von Baumwolle nachhalten, während die Methangas-Emissionen von Polyester und anderen Synthesefasern unter den Tisch fallen würden.

Bewertung misst mit falschen Annahmen: Tragedauer

Das zweite Manko eines LCA ist die optimistische Annahme, dass Bekleidung immer getragen wird, bis sie auseinanderfällt. Daher wird ein Artikel von der Wiege bis ins Grab (cradle to grave) bewertet. Dabei übersieht die Methode die Kurzlebigkeit der Mode: Fast Fashion wird regelmäßig durch neue Billigmode ersetzt, die in immer kürzeren Zeitabständen auf den Markt kommt und deren Produktion zu immer neuen Ressourcenverbräuchen und einem steigenden Müllaufkommen führt. Dieses Konsumentenverhalten kann in einem LCA zwar nicht berücksichtigt werden, macht aber den Vergleich unterschiedlicher Bekleidungskonzepte nahezu unmöglich.

Textilien: reißfest = langlebig?

Die gleiche Kritik muss sich auch die Methode zur Ermittlung des ökologischen Fußabdrucks eines Produkts (Product Environmental Footprint) gefallen lassen: Für die Bewertung der Langlebigkeit eines Textils wird dessen Reißfestigkeit ermittelt. Aus den Ergebnissen wird zurück geschlossen, dass die reißfestesten Produkte auch die langlebigsten sind. Bei richtiger Pflege ist die Annahme durchaus richtig.

In Anbetracht des enormen Kleidungskonsums in den Industrienationen stellt sich allerdings die Frage, ob der Bewertungsmaßstab stimmt. So räumt jeder Verbraucher zwei Drittel seines Kleiderschranks aus, weil Oberteile und Hosen nicht mehr passen, unmodern geworden sind oder nicht mehr gefallen. Diese Argumente wiegen schwerer als die Möglichkeit, ein Stück noch viele Jahre tragen zu können, nur weil es dessen Reißfestigkeit theoretisch hergibt. In solchen Fällen ist die Betrachtung der Langlebigkeit eines Produkts nicht zielführend – vor allem dann nicht, wenn man an das Recyceln denkt, bei dem die Ware gerissen wird.

Kritik aus Eigeninteresse? Baumwollindustrie unter Druck

Die in Bremen laut gewordene Kritik an den jüngsten Entwicklungen im Bereich der Umweltgesetzgebung und ökologischen Standardisierung ist nicht ganz frei von Eigeninteressen. Die Baumwollindustrie, die viele Millionen Menschen beschäftigt, sieht sich unter Druck. Obwohl der Textilkonsum weltweit steigt, halten die Baumwollerträge nicht mit dieser Entwicklung mit. Sie sind im Erntejahr 2022/23 sogar gesunken. Die Nachfrage des Marktes wird daher durch preiswerte synthetische Fasern abgedeckt, was die Baumwolle weiter abschlägt.

Immerhin erarbeiten beratende Institutionen wie das International Cotton Advisory Committee (Washington) bessere Anbaupraktiken zur Steigerung der Erträge. Saatguthersteller entwickeln Samen, die zu höheren Ergebnissen pro Hektar Anbaufläche führen. Trotzdem bleibt die Ausbeute weit hinter der Marktnachfrage zurück. Für eine stärkere Abgrenzung gegen den Erdöl-basierten Konkurrenten versuchen (Marketing-)Institutionen der Baumwollbranche daher, die Naturfaser als zukunftsfähig zu positionieren. Ein besonderes Merkmal, das auf der Veranstaltung immer wieder angeführt wurde, ist die Kompostierfähigkeit der Cellulosefaser. Mark Messura von Cotton Incorporated (North Carolina) schlug daher u.a. vor, die Fasern wieder zu Erde zu kompostieren. Versuche an Shirts hätten einen hundertprozentigen Abbau ergeben, bei dem auch Farbstoffe nicht mehr nachweisbar gewesen seien.

Recyclingmethoden führen zu Qualitätsverlusten

Baumwolle wird allerdings in den seltensten Fällen in Reinform verarbeitet, sondern wird mit anderen Fasern gemixt. Wenn es gelänge, diese Mischungen sauber zu trennen und als reine Materialien aufzubereiten, ließe sich das Zirkularitätsprinzip hervorragend umsetzen. Die Textilindustrie ist jedoch noch weit davon entfernt.

Das mechanische und das chemische Recycling von Natur- und Synthesefasern führt den Erfahrungen verschiedener Redner zufolge zu kürzeren Fasern bzw. Molekülketten. Diese haben wiederum eine geringere Haltbarkeit, die in hoch modischen Artikeln eine untergeordnete Rolle spielen könnten, denn Fast Fashion wird bereits nach wenigen Tragezyklen entsorgt. Mit steigenden Anforderungen an die Qualität von Textilien sind entsprechend recycelte Fasern jedoch nur bedingt geeignet, denn Kurzfasern verringern die Reißfestigkeit, neigen zu stärkerem Pilling und zu stärkerer Staubbildung im Trockenprozess. Um das Manko auszugleichen, muss das Recyclingmaterial daher zu einem erheblichen Teil mit Neumaterial gemischt werden.

Schwarzes vs. weißes Gold

Von der Baumwolle sind verschiedenste Wirtschaftszweige abhängig: An der Naturfaser verdienen Saatguthersteller und Agrarchemie, Farmer, Zwischen- und Großhändler, Lagerbetreiber und Transportunternehmen, Börsenbroker und Beratungsgesellschaften, Entkörnungsbetriebe und Prüfinstitute. Dementsprechend groß sind die Ambitionen der Branche, die Stellung der Baumwolle im internationalen Textilgeschäft zu verteidigen.

Das Programm der Bremer Textilkonferenz spiegelt diese Ambition wider: Experten aus allen Sektoren berichten über ihre Erfahrungen und Bemühungen, den Markterfordernissen gerecht zu werden. Damit liefert das Treffen auch einen Blick in die Zukunft. Angesichts des vielfältigen Engagements in der Branche muss man sich um die Naturfaser vorerst nicht sorgen.

Allerdings bleibt auch die Synthesefaser-Industrie nicht untätig und positioniert sich. Sie wird womöglich das Rennen um Marktanteile gewinnen, denn einerseits sind Polyester und Co. für technische Anwendungen elementar. Vor allem aber stillen Synthesefasern den Appetit vieler Menschen nach immer neuen Klamotten. Wenigstens solange Erdöl aus den Bohrlöchern strömt.