DTV-Jahreskongress 2023 in Ingolstadt Arbeitswelt der Zukunft

Rund 250 Mitglieder, Förderer und Partner des Deutschen Textilreinigungs-Verbandes (DTV) kamen Mitte September zum Jahreskongress in Ingolstadt zusammen. Im Mittelpunkt eines der drängendsten Themen dieser Zeit: der Mangel an Fach- und Arbeitskräften. Er beschäftigt die gesamte deutsche Wirtschaft und die personalintensive Textilservicebranche nochmal in besonderer Brisanz.

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Blick in den großen Tagungssaal "Ingolstadt" anläßlich des DTV-Jahreskongresses 2023. Auf der Bühne: Elena Lai (ETSA). - © Ulrich Lindenthal/DTV, Peter Schmid/RWT

Ging es letztes Jahr zum DTV-Jahreskongress noch in den hohen Norden nach Kiel, so fand die diesjährige Veranstaltung im bayerischen Ingolstadt statt. Das Tagungshotel Maritim in unmittelbarer Donau-Nähe hat erst vor wenigen Wochen eröffnet, der große Saal "Ingolstadt" bot einen würdigen Rahmen für Kongress und Festabend. "Eine edle Anmutung – fast wie im Bundestag" bewertete ein Besucher anlässlich der morgendlichen Eröffnung das licht-großzügige Ambiente.

"Wir haben ein Problem, das wir nur gemeinsam lösen können!" – Mit diesen Worten begrüßte DTV-Präsidentin Beate Schäfer und kam damit direkt zum Motto der Veranstaltung: "Arbeitskräftemangel contra Wachstum. Wer macht zukünftig die Arbeit?". Herausforderungen, Arbeitsmarkt, Bildungspolitik, Arbeitskräftegewinnung, Automatisierung.

Der rote Themen-Faden zog sich konsequent durch den Tag, durch verschiedene Panels und den Keynote-Vortrag. In ihrer Eröffnungsrede machte Beate Schäfer klar, dass nicht nur Politik und Verwaltungen gefordert sind, Lösungen für die sinkende Zahl an Arbeits- und Fachkräften zu erarbeiten. Ebenso seien Unternehmerinnen und Unternehmer gefragt, Beschäftigte zu qualifizieren und Karrierewege in der Branche aufzuzeigen.

Die Megatrends auf dem Arbeitsmarkt …

… fasste Daniel Terzenbach vom Vorstand der Bundesagentur für Arbeit im ersten Vortrag des Tages zusammen. Interessant dabei vergleichende Zahlen: Während im Jahre 2005 auf eine Stelle 10,25 Arbeitslose fielen, ist es 2023 nur noch einer. Auch auffallend, dass 1962 sechs Arbeitnehmer einen Rentner finanzierten, während dies 2019 die "Aufgabe" von zweien ist.

Durch die Tatsache, dass die Arbeitskräfte der geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten Babyboomer, nun bald in Rente gehen, werde die Situation noch verstärkt. So werde selbst mit Zuwanderung und steigenden Erwerbsquoten das Erwerbspersonenpotenzial bis 2035 um rund 6 Prozent oder knapp 3 Millionen Personen abnehmen. Automatisierung und Digitalisierung können, so der Referent, jedoch den Rückgang von Arbeitskräften zum Teil ausgleichen. Auch wenn bis heute noch viele der Ansicht sind, dass dies zu Arbeitsplatzverlusten führe, sehe er darin genau das Gegenteil: Nur mit Hilfe technologischer Innovationen sei es überhaupt möglich, positiv in die Zukunft zu blicken.

DTV: Diskussionspanel Fachkräfte

Im anschließenden Panel mit Daniel Terzenbach sowie Dirk Werner (Institut der Deutschen Wirtschaft) und DTV-Hauptgeschäftsführer Andreas Schumacher wurde diskutiert, wie im Bereich der beruflichen Bildung mehr auf Teilqualifizierungen gesetzt werden kann, um neben der klassischen dreijährigen Ausbildung weitere Fachkräfte für die Branche zu qualifizieren. Darüber hinaus unterstrich Andreas Schumacher, dass aus Sicht der Branche, das jüngst verabschiedete Fachkräfteeinwanderungsgesetz zwar ein guter erster Schritt sei, aber es insbesondere auch Lösungen für die Zuwanderung von Arbeitskräften ohne formale Ausbildung bedürfe, um dem Arbeitskräftemangel in der Branche zu begegnen.

Menschliche Arbeitskraft durch Technologie ersetzen? Ein weiterer Fokus in einem Panel (moderiert von Dr. Thomas Neyers, seit Juni 2023 neuer ETSA-Präsident) lag auf dem Einsatz neuer Technologien, um menschliche Arbeitskraft zu ersetzen. Mehr Automatisierung und eine vielfältigere Anwendung von Robotersystemen können helfen, die sinkende Zahl von Erwerbspersonen auszugleichen. In der Diskussion mit den Maschinenherstellern Inwatec und Kannegiesser sowie dem IT-Dienstleister KooBra wurde herausgearbeitet, dass es dafür auch offener Kommunikationsschnittstellen an den Maschinen bedarf, um herstellerübergreifend innerhalb der Betriebe Prozesse entsprechend steuern zu können. Daniel Hübschmann, Leiter des Kompetenzzentrum „Robotik im Handwerk“, schilderte seine Erfahrungen aus anderen Branchen und sensibilisierte dafür, dass der Einsatz von neuen Technologien auch entsprechende Schulungen und Qualifizierungen des bestehenden Personals notwendig mache.

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    © Ulrich Lindenthal/DTV, Peter Schmid/RWT
    "Wir haben ein Problem, das wir nur gemeinsam lösen können", so DTV-Präsidentin Beate Schäfer bei ihrer Eröffnungsansprache.
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    © Ulrich Lindenthal/DTV, Peter Schmid/RWT
    Präsentierten Produkte der aurora Objektwäsche GmbH: Maximiliane Raabe und Ogün Kemaloglu.
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    © Ulrich Lindenthal/DTV, Peter Schmid/RWT
    Heiko Schulze, Solution Manager bei HB Protective Wear, skizzierte Auswahl und Pflege von Schutzbekleidung.
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    © Ulrich Lindenthal/DTV, Peter Schmid/RWT
    Am Ausstellungsstand von Kannegiesser (v.l.): die Gebietsverkaufsleiter Klaus Oltscher und Jörg Schmitz sowie Thorsten Malzer (Head of Group Controlling).
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    © Ulrich Lindenthal/DTV, Peter Schmid/RWT
    Paneldiskussion mit (v.l.n.r.) Daniel Terzenbach (Bundesagentur für Arbeit), Dirk Werner (Institut der Deutschen Wirtschaft) und Andreas Schumacher (DTV). Moderiert von Tanja Samrotzki (re.).
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    Robotik gegen Fachgkräftemangel? Jan Nicolay, Vertriebsleiter der sewts GmbH.
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    © Ulrich Lindenthal/DTV, Peter Schmid/RWT
    Präsentation der MIP Europe GmbH durch Franziska Zeller (Vertrieb) und Eduard Knapheide (Head of Center of Excellence).
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    © Ulrich Lindenthal/DTV, Peter Schmid/RWT
    Erläuterten das Sianka-Sortiment: Sabine Nickol und Antonio Lombardi Valente.

Kernproblem Fachkräftemangel

Trotz der Technologiesprünge werde der Mensch als Arbeitskraft jedoch auch weiterhin eine wesentliche Rolle spielen und bleibe zentraler Erfolgsfaktor der Wirtschaft. "Veränderungen im Denken und Handeln der arbeitenden Bevölkerung sind jedoch nicht von der Hand zu weisen. Wir können quasi von einer neuen Arbeitswelt sprechen", so Elena Lai, Generalsekretärin der European Textile Services Association (ETSA) in ihrem Impulsvortrag. "Und diese Arbeitswelt stellt uns vor Herausforderungen, die es zu meistern gilt, auch wenn sie zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht klar vorstellbar ist."

Gemeint sei unter anderem, dass der junge Arbeitnehmer von heute nicht mehr mit dem von früher zu vergleichen ist. Neben der Tatsache, dass er eine vollständig andere Erwartungshaltung an seinen Arbeitsplatz und den Arbeitgeber habe als seine Vorfahren, auch im Hinblick auf die Qualifikation. Fachkräftemangel sei ein zunehmend branchenübergreifendes Kernproblem. Genau das sei auch der Grund gewesen, warum mit dem Europatag am 9. Mai 2023 das European Year of Skills (Europäisches Jahr der Kompetenzen) startete. Das Sichtbarmachen der Bemühungen im Kampf gegen den Fachkräftemangel sei offensichtlich dringend erforderlich.

Webinare und E-Washboard

Elena Lai stellte in dem Zusammenhang Ansätze vor, mit denen die ETSA einen entsprechenden Beitrag zur Bewältigung des Fachkräftemangels in der Textilpflegebranche leisten will. Neben Webinaren zu diversen Themen stehe beispielsweise mit dem E-Washboard eine Onlineplattform zur Verfügung, mit der sich Ungelernte systematisch qualifizieren können. Die digitale Lernplattform wurde von der ETSA gemeinsam mit dem DTV sowie den Branchenverbänden aus Belgien, Schweden und Tschechien entwickelt und steht in mehreren Sprachen zur Verfügung.

Aber nicht nur durch Weiterbildung könne dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden. Auch Fachkräfte aus dem Ausland spielen eine große Rolle. Klar sollte sein, dass es ohne sie nicht gehe. Auch in der anschließenden Podiumsdiskussion wurde schnell klar, dass es alleine mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz nicht getan ist. Auch hier spricht Lai die Bemühungen der ETSA im Rahmen von Talentpartnerschaften an. Zur Förderung der für beide Seiten erfolgsversprechenden Mobilität zwischen der EU und den Partnerländern sei eine Abstimmung der Arbeitsmarktbedürfnisse und -kompetenzen dringend erforderlich. Im Rahmen der Talentpartnerschaften werde dafür neben dem umfassenden politischen Rahmen auch finanzielle Unterstützung bereitgestellt.

Neben der fachlichen Kompetenz spiele allerdings auch der soziale Aspekt eine große Rolle: egal ob es um die heranwachsenden Arbeitskräfte aus dem eigenen Land geht oder um die zugewanderten. Zuhören, Verstehen und Umsetzen sei angesagt. Dies bedeute, auf die veränderten Erwartungshaltungen der jungen Menschen einzugehen, mehr Flexibilität zu gewährleisten und allen Mitarbeitern die entsprechende Wertschätzung entgegenzubringen.

Der Mensch auch weiterhin im Mittelpunkt

Einen Blick in die Zukunft warf auch Keynote-Rednerin Prof. Dr. Yasmin Weiß, Personalmanagerin, Publizistin und Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit Forschungsschwerpunkt "Future Skills". Sie plädierte in ihrem Beitrag dafür, sich vor neuen Technologien wie der künstlichen Intelligenz nicht zu scheuen. Unternehmen sollten diese sinnvoll für Produktivitätssteigerungen einsetzen, um so dem Arbeitskräftemangel zu begegnen. Das erfordere auch, Beschäftigte dafür zu sensibilisieren, mit diesen Technologien zusammenzuarbeiten. Gleichzeitig machte sie deutlich, dass Menschlichkeit als zentraler Erfolgsfaktor im Wettbewerb um Mitarbeiter und Kunden an Bedeutung zunehmen wird. Denn zwischenmenschliche Kontakte würden in einer immer weiter technologisierten Welt immer rarer. Hier könne insbesondere der Mittelstand punkten.

Kern ihres Vortrags sicherlich die 10 Thesen zur Zukunft der Arbeit bis ins Jahr 2030. Diese lassen sich nicht nur, aber besonders auch auf die Textilservice-Branche anwenden. Der historische Arbeitskräftemangel weite sich demnach noch aus, Krise und Transformation werden leider zur Regel. Die Arbeitswelt bleibe hybrid und eröffne sicher noch neue Möglichkeiten. Gemischte Mensch-Maschine-Teams (Cobots) werden wohl Standard und breiten sich aus. Auch das Thema KI werde omnipräsent. Fortlaufende berufliche Weiterbildung werde vor diesem Hintergrund zur Pflichtübung, Sozialkompetenzen werden neu definiert, d.h. der "humane USP" werde bewusst gestärkt. Entscheidend in dieser Konsequenz demnach eine exzellente Führungs- und Unternehmenskultur als "erfolgskritische Währung", so Prof. Weiß. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden gleichsam zu einem Nachhaltigkeitsmanager. Und gerade die Kombination aus Technologie und Sozialkompetenz werde das neue "sexy" am Arbeitsmarkt.

Anpassungsfähigkeit und Lernbereitschaft

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam das Panel rund um DTV-Präsidentin Beate Schäfer. Sie tauschte sich mit Prof. Dr. Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Laura Jorde von den Wirtschaftsjunioren sowie Larissa Klemme von der Bertelsmann Stiftung darüber aus, welche Fähigkeiten Arbeitnehmer und Arbeitgeber künftig brauchen. Im Ergebnis wurden Anpassungsfähigkeit und Lernbereitschaft als überfachliche Kompetenzen herausgearbeitet, die Arbeitnehmer benötigen, um immer wieder neue fachliche Kompetenzen, z. B. KI-Skills, lernen zu können. Um als Arbeitgeber attraktiv zu sein, sei zudem insbesondere wertschätzendes Verhalten gegenüber den Beschäftigten wichtig. Etwa indem sie einbezogen werden und ihnen Perspektiven durch flexible Weiterbildung und Aufstiegschancen aufgezeigt werden.

Neue Wege in der Arbeitskräftegewinnung

Niklas Klein von der Marketingagentur SocialMate sowie Niklas Waßmann von der Handwerkskammer Erfurt und Martin Walter von dem Beratungsprojekt "Tür an Tür Integrationsprojekte gGmbH" zeigten in ihren Impulsen auf, welche kreativen Wege bereits heute in der Arbeitskräftegewinnung beschritten werden können. Klein berichtete, dass den Onlinekanälen in der Ansprache potenzieller Beschäftigter eine wachsende Rolle zukomme, viele Unternehmen dies jedoch noch nicht mit einer zielgerichteten Strategie angingen, um nachhaltigen Erfolg sicherzustellen.

Niklas Waßmann und Martin Walter machten deutlich, dass auch für den Mittelstand Möglichkeiten bestehen, Auszubildende und Fachkräfte im Ausland zu rekrutieren. Entsprechende Unterstützungsangebote bspw. bei Handwerkskammern gebe es bundesweit. Diese Angebote sollten unbedingt genutzt werden, da bei der Vielzahl involvierter Behörden und Verwaltungen einige Fallstricke in der praktischen Umsetzung liegen. Simone Stanic vom Arbeitgeberservice der Agentur für Arbeit konnte in ihrem Beitrag auf Förderprogramme hinweisen, die bislang nur in unzureichendem Maße vom Mittelstand genutzt würden.

Zusammenfassend stellten Beate Schäfer, Andreas Schumacher und Dr. Thomas Neyers (Moderatorin Tanja Samrotzki bezeichnete sie als "Präsidiales Dreigestirn") die Botschaften des Tages wie folgt zusammen: Wir haben ein Problem! Wir brauchen Qualifizierungsmaßnahmen ebenso wie Zuwanderer. Wichtig sei bürokratische Hürden abzubauen und in alle Richtungen zu schauen, um die Zukunft sicher zu gestalten. Mit neuen Modellen der Arbeitswelt sollte man sich auseinandersetzen. In den Programmpausen und während eines geselligen Oktoberfestes (DTV-Wiesn) – mitsamt Fassbier-Anstich durch Präsidentin Beate Schäfer – gab es darüber hinaus reichlich Platz für den kollegialen Austausch und Informationsmöglichkeiten bei verschiedenen Ausstellern aus der Industrie.

Der nächste Jahreskongress wird erstmalig gemeinsam mit der Gütegemeinschaft sachgemäße Wäschepflege durchgeführt. Das gemeinsame Branchentreffen wird vom 18. bis 20. September 2024 in Frankfurt am Main stattfinden.