Seit 38 Jahren gibt es die Schlichtungsstelle für Textilreinigungsschäden in Murrhardt. Nahezu 1.000 Textilien wurden bisher begutachtet. In durchschnittlich weniger als 30 Prozent aller Fälle ergibt die Begutachtung, dass der Schaden durch falsche Behandlung entstanden ist.
Guter Rat muss nicht teuer sein
„Die Bluse ist 10 cm kürzer als vorher.“ „Die Jacke ist total kaputt.“ „Das Tischtuch ist völlig verzogen“: Mit diesen oder ähnlichen Aussagen ihrer Kunden sind Textilreinigungen immer wieder konfrontiert. Deshalb wurde vor nunmehr fast 40 Jahren die Schiedsstelle für Textilschäden in Stuttgart ins Leben gerufen. Mehr als 30 Jahre wurde die Arbeit der Schiedsstelle von Eugenie Bockelmann geprägt. Ihr Engagement für diese wichtige Arbeit hat sich in unzähligen Kursen und Vorträgen, vielen Publikationen der Forschungsstelle Textilreinigung Hohenstein und den vielfältigen Gutachten und Stellungnahmen, die im Laufe der Zeit mehrere Regale füllten, niedergeschlagen. Die Freude am Herausfinden einer Schadensursache und das Erarbeiten entsprechender Tipps sowohl für Reinigungen als auch für Sachverständige hat sie sich bis heute bewahrt. Ebenso wie das Aufspüren und Einordnen neuer Textilmaterialien für die Bearbeitung in der Textilreinigung.
Im Jahr 2002 musste die Schiedsstellenarbeit neu strukturiert werden, da die Finanzierung von Seiten der Verbraucherzentrale aufgrund der Streichung der staatlichen Bezuschussung wegfiel. Auch aufgrund personeller Veränderungen bei der Verbraucherzentrale war eine Weiterführung der Schiedsstelle in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr möglich. Hinzu kam, dass das Forschungsinstitut Hohenstein die Kosten für den Zeitaufwand für die von Eugenie Bockelmann geleistete Arbeit nicht länger tragen wollte.
Da die Schiedsstellenarbeit durch die neu gegründete „Fatex Prüfstelle für Textilschädigungen“ übernommen wurde, kann seit nunmehr sieben Jahren, trotz der finanziell sehr viel engeren Rahmenbedingungen, nahtlos an die fast 40-jährige Prüftradition angeknüpft werden. Dies gelang auch deshalb, weil Rechtsanwalt Erich Graner seit mehr als 23 Jahren zunächst bei der Schiedsstelle, jetzt bei der Fatex-Prüfstelle mitwirkt. Der Fachverband Textilpflege Südwest e.V. (Fatex) ist nun alleiniger Träger der Prüfstelle und finanziert diese wichtige Arbeit nach wie vor mit.
Es ist selbstredend, dass die Prüfstelle nicht in jedem Begutachtungsfall der Textilreinigung oder Wäscherei „Recht gibt“. Dem kann und darf auch nicht entsprochen werden. Allerdings kann die Prüfstelle dem Reiniger oder Wäscher helfen, unberechtigte Ersatzforderungen abzuwehren. Beispielsweise wenn ein Materialfehler oder eine Schädigung durch Gebrauch vorliegt. Zudem kann der Reinigungskunde mit dem Gutachten häufig seine Ansprüche gegenüber dem Einzelhändler geltend machen.
In durchschnittlich weniger als 30 Prozent aller Fälle ergibt die Begutachtung, dass ein Bearbeitungsschaden vorliegt, der Schaden also durch eine fehlerhafte Behandlung in der Reinigung oder Wäscherei verursacht wurde. Dies kann unter Umständen wichtige Hinweise auf die Notwendigkeit innerbetrieblicher Verbesserungen und damit künftiger Schadensvermeidung geben.
Ein weiterer Service der Prüfstelle besteht darin, auf Anfrage zusätzlich zu der Begutachtung noch den Zeitwert des Prüfgegenstandes zu ermitteln.
Als öffentlich bestellter und vereidigter Gutachter für das Textilreinigerhandwerk arbeitet Diplom-Textilingenieur Dieter Schmidt seit 2002 für die Prüfstelle. Die Verbraucherseite repräsentieren Frau Schmidt und Frau Graner.
Unter der Regie von Dieter Schmidt hat sich die Schiedsstelle in Murrhardt einen hervorragenden Ruf erarbeitet.
Durch ihre Autonomie in Bezug auf Verbraucherorganisationen und ohne institutionelle Verflechtungen mit der Herstellerseite erstellt die Schiedsstelle in Murrhardt unabhängige Gutachten. Bei der Begutachtung spielen Namen und Ansehen der betreffenden Reinigung oder Wäscherei keine Rolle. Dabei liegt es in der Natur der neutralen Bewertung, dass nicht jedes Gutachten den Auftraggeber zufrieden stellt.
„Erschwert wird die Arbeit der Begutachter dadurch, dass die betroffenen Reiniger und Wäscher keine Angaben darüber machen, wie sie das Textil bearbeitet haben“, erläutert Rechtsanwalt Graner. Die exakte Unterrichtung ist jedoch in der Regel Voraussetzung für eine korrekte Beurteilung. Eine Bewertung ausschließlich auf Grundlage der äußeren Warenschau kann zu unzutreffenden Schlüssen führen.
Dass die Begutachtung der Streitfälle dem gesamten Team viel Spaß macht, ist beim Besuch einer Sitzung in Murrhardt unverkennbar. Rund 50 km östlich von Stuttgart, im beschaulichen Murrtal, finden die zehn Sitzungen im Jahr statt. Die an diesem Tag zu begutachtenden Fälle sind von Dieter Schmidt nummeriert worden.
Zunächst wird ein Schadensprotokoll angefertigt, anschließend das Textil untersucht, um die Schadensursache ermitteln zu können. Jeder Fall wird vorgestellt und vom ganzen Team diskutiert. Dabei kann es in einzelnen Fällen durchaus zu längeren Erörterungen kommen.
Die Gutachten bestehen aus einem ausgefüllten Formular und dazugehörigen kurzen Erläuterungen, meist nur zwei oder drei Sätze. Dieter Schmidt überträgt die Informationen anschließend in das eigens hierfür entwickelte Computerprogramm und druckt die fertigen Gutachten aus.
Im Gespräch mit Dieter Schmidt wird deutlich, woraus er seine Motivation für die vielen, oft unbezahlten Stunden schöpft: „Ich möchte dazu beitragen, unberechtigte Forderungen abzuwehren und berechtigte Forderungen zu unterstützen.“ Es bereite ihm einfach Freude, die Erfahrungen eines Berufslebens, das sich lange Jahre auf der Seite der Textilhersteller abgespielt hat, und die fachpraktische Erfahrung als Textilreiniger in einer solchen Tätigkeit zu vereinen, resümiert er.
Ein qualifiziertes Gutachten ist bei der Schiedsstelle in Murrhardt für 25 Euro (zuzüglich Porto für Hin- und Rücksendung) zu haben. Guter Rat muss nicht teuer sein.Meinrad Himmelsbach