Eine Industrie im Dilemma Mikroplastik: Plastikteilchen aus der Wäscherei?

Mikroplastik hat das Zeug, eine abendliche Diskussion unter Freunden mit lautem Wumms auseinanderzusprengen. Den einen fällt zum Thema sofort das edle Meersalz ein, das trotz umsichtiger Gewinnung mit kleinsten Plastikteilchen verunreinigt ist und damit jede Suppe versalzt. Die anderen sind hingegen bedächtiger und geben zu bedenken, dass die Forschung hinsichtlich Entstehung, Mengen und Auswirkungen von Mikroplastik erst am Anfang steht. Trotzdem ist ein Verursacher längst ausgemacht und wird medial vorgeführt: Das Waschen ist schuld!

Erlenmeyer-Kolben, in dem Mikroplastikteilchen im Wasser schweben.
Kommt Mikroplastik aus der Wäscherei? - © Microgen – adobe.stock.com

Es gibt wohl kaum ein Thema, das so polarisiert, wie Mikroplastik. Da auch in der Textilservice-Branche die Meinungen auseinanderklaffen, werden die für diesen Fachartikel befragten Fachleute namentlich nicht genannt.

Die synthetischen Teilchen im Größenbereich von 5 mm bis 100 nm – so die aktuelle Begriffsbestimmung für Mikroteilchen – sind inzwischen überall in der Umwelt zu finden. Sie entstehen in erster Linie durch Reifenabrieb, wie die im Jahr 2018 erschienene Studie "Kunststoffe in der Umwelt: Mikro- und Makroplastik" des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT) darstellt.

Knapp ein Drittel des in Deutschland jährlich entstehenden Mikroplastiks (4.000 g pro Bewohner (g/cap/a)) geht nach Schätzungen der Autoren auf den KFZ- und LKW-Sektor (1.228 g). An Platz 2 der Verursacher wird eine Freisetzung durch die Abfallentsorgung, an Platz 3 der Abrieb durch Asphalt und Bitumen genannt.

Der Faserabrieb durch die Textilwäsche steht mit 76,8 g erst an 10. Stelle. Laut Studienherausgeber trägt dabei die Haushaltswäsche mit 60 g/cap/a den größten Teil zur Mikroplastikfreisetzung bei, die Waschsalons haben einen Anteil von 8,6 g – und auf das Konto der Industriewäsche gehen lediglich 2,2 g/cap/a!

Kleine Mengen, großes Geschrei

Die Haushaltswäsche ist an der Entstehung von Mikroplastik also mit sechs Prozent, die Industriewäsche nur mit 0,2 Prozent beteiligt. Und obwohl die Teilchen in den hiesigen Kläranlagen (unter Zuhilfenahme textiler Filter) fast vollständig extrahiert werden können, wird nach den Erfahrungen eines Textilexperten ein gigantisches Problem daraus gemacht. Mikroplastik aus der Wäscherei ist in den Augen vieler Akteure also "böses" Plastik. Kunststoffteilchen, die etwa aufgrund der staatlich verordneten Energiewende entstehen, werden nach Ansicht des Experten hingegen nicht geahndet: Die nach dem Verputzen einer wärmegedämmten Fassade ums Haus herumliegenden Styroporkügelchen fielen umweltseitig einfach unter den Tisch und würden quasi als Kollateralschaden hingenommen.

Ganz ähnlich sieht es ein Unternehmer aus der Branche: Obwohl ihm das Thema Mikroplastik keineswegs egal ist, sei längst jegliche Verhältnismäßigkeit verloren gegangen. So wären durch die zum Schutz vor Corona verordneten Staubschutz-Masken in den vergangenen zwei Jahren gigantische Müllberge und abriebbedingtes Mikroplastik entstanden. Hiervon sei in der Umweltdiskussion jedoch keine Rede. Stattdessen würde mit Textilien als Verursacher von feinsten Kunststoffteilchen eine „weitere Sau durchs Dorf getrieben“.

Am Anfang der Mikrofaserkette steht die erste Wäsche

Ungeachtet der Mengendiskussion stellt sich die Frage, wie textiles Mikroplastik entsteht. Man geht davon aus, dass die Kleinstteilchen durch das Abbrechen der Kunststofffaserspitzen bei mechanischer Beanspruchung – etwa beim Tragen, beim Waschen und beim Trocknen - in die Umwelt gelangen. Der größte Teil an Mikrofasern wird allerdings im ersten Wasch- beziehungsweise Trocknungszyklus freigesetzt, wie im interdisziplinären Forschungsprojekt "Textilemission – Textiles Mikroplastik reduzieren" nachzulesen ist.

Es darf daher angenommen werden, dass bei der ersten Wäsche die in der Konfektion entstehenden und aus der Luft auf der Gewebeoberfläche abgelagerten Faserstäube heruntergewaschen werden. Dafür spricht auch, dass der Studie zufolge der Mikroplastikaustrag im Verlauf weiterer Zyklen immer weiter abnimmt.

Einen Aspekt ließ das Forschungsvorhaben allerdings aus: Den Tragezyklus berücksichtigten die Untersuchungen nicht. Dabei ist die Entstehung von Mikropartikeln jedoch aufgrund von Reibungskräften unvermeidlich. Die Größenordnung dieses Mikroabriebs ist eine große Unbekannte, da hier zu viele Einflussfaktoren berücksichtigt werden müssen. Schon allein bei der Anlieferung einer neuen Charge kann es zu erheblichen Differenzen kommen. Daher existieren nur sehr wenige Studien auf diesem Gebiet. Hierzu zählt die Untersuchung des RISE Research Institutes of Sweden: MINSHED Design solutions for microplastics shedding from textiles.

Interessant ist übrigens auch, dass recycelte Kunstfasern in den Wasch- und Trockentests schlechter abschneiden als längere, neu erzeugte Kunstfasern. Die Begründung liegt im Faserdurchmesser und der Faserlänge: Recyclingfasern sind kürzer und dünner als neu hergestellte Fasern und weisen somit verhältnismäßig viele Faserspitzen auf, die bei mechanischer Einwirkung abbrechen. Beim Verfassen der EU-Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien lagen diese Erkenntnisse offenbar noch nicht vor. Wie erklärt sich sonst die Bestrebung der Europäischen Kommission, den Rezyklatanteil in Textilien zukünftig deutlich zu erhöhen?

Minimale Flotte als Referenz für die Haushaltswäsche

Bei der Lektüre einschlägiger Untersuchungen, Studien und Forschungsvorhaben fallen die enormen Ergebnisunterschiede
auf. Je nach Quelle variieren die Zahlen beträchtlich. So behauptet beispielsweise der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in seinem Flyer "Mikroplastik aus Textilien", dass sich "als eine der Hauptquellen die Freisetzung von synthetischen Fasern während des Waschprozesses von Textilien erwies. Ihr Anteil beträgt rund 35 Prozent des Gesamteintrages von Mikroplastik in die Meere." An dieser Stelle sei noch einmal an die Ergebnisse der UMSICHT-Studie erinnert, die von sechs Prozent ausgeht.

Der Grund für die beträchtlichen Differenzen hat einen Grund: Bisher bestand kein validiertes, standardisiertes Prüfverfahren. Im Mai 2023 erschien nun aber die ISO EN 4484 (Textilien und textile Erzeugnisse – Mikroplastik aus textilen Quellen – Teil 1: Bestimmung des Materialverlusts von textilen Flächengebilden beim Waschen). Sie definiert die Verwendung des "Gryowash" zur Simulation einer Haushaltswäsche. Dieses in allen Prüfinstituten vorhandene Prüfgerät wird üblicherweise zur Farbechtheitsbestimmung eingesetzt. "Nun wird in einer Flotte von etwas mehr als einem halben Liter auch praxisnah der Haushaltswaschprozess eines Textils und der Mikroplastik-Austrag simuliert" ätzt der Branchenexperte. Ein weiterer Kritikpunkt an der Methode ist, dass die Proben mit der Schere geschnitten werden. Dabei entstehen zusätzliche Partikel.

Mikroplastik: Die große Unbekannte

Das Testgerät selbst ist aber nicht der einzige Kritikpunkt: In der Prüfung werden nämlich sowohl Mikroplastik als auch andere Fasern ermittelt. Noch umstrittener ist der noch nicht veröffentlichte 2. Teil dieser Norm (Textilien und textile Erzeugnisse – Mikroplastik aus textilen Quellen – Qualitative und quantitative Bewertung von Mikroplastik): Er wurde auf ISO-Ebene akzeptiert, auf CEN-Ebene jedoch abgelehnt.

Darüber hinaus gibt es bereits eine Analysemethode, anhand derer man den nach dem Waschen im Wasser zurückbleibenden Anteil an Mikroplastik feststellen kann, ohne dass man fälschlicherweise einbezogene Bestandteile (z. B. Fasern) erfasst. Außerdem wird gemunkelt, dass das Umweltbundesamt (UBA; Berlin) ein Verfahren zur Massenbestimmung von Kunststoffen etablieren will, welches die Summenparameter aus Thermogravimetrie und Gaschromatographie ermittelt. Das klingt nicht nur teuer, sondern ist es auch.

An dieser Stelle sei noch erwähnt, dass derzeit noch keine einheitlichen, wissenschaftlich fundierten Studien über die Auswirkungen von Mikroplastik auf Ökosysteme existieren oder welche Biodynamik sie entwickeln. Andererseits gibt es ebenso wenig Aussagen über den Nutzen oder die Vorteile der Miniteilchen in der Umwelt.

Ohne Synthesefasern geht’s nicht

Es steht außer Frage, dass die Belastung der Umwelt durch Kunststoffe und Mikroplastik dringend eingedämmt werden muss. Die Textilindustrie kann daran mitwirken. Eine sorgfältige Auswahl der Rohmaterialien und Produktionsprozesse können zur Verringerung des Mikrofaseraustrags beitragen – etwa durch Verwendung langstapeliger Naturfasern, endloser Filamente, hart gedrehte Garne oder dichter, glatter Gewebe oder durch Umsetzung von Ökodesign-Kriterien. Schärprozesse oder die Nutzung typischer Fleece-Materialien sollten hingegen vermieden werden.

Eines steht jedoch fest: Ohne synthetische Fasern geht es im Textilleasing (und in vielen anderen Anwendungsbereichen) nicht. 

  • Polyester verlängert die Lebensdauer von Objekttextilien, Berufs- und Schutzkleidung beträchtlich. Dadurch lässt sich die Neuanschaffung und damit Produktion von Textilwaren verringern.
  • Polyesterfasern trocknen schneller als Baumwollfasern, Produkte mit der BeirTex-Technologie trocknen noch schneller. Dadurch können Wäschereien mit niedrigeren Temperaturen bei höherem Tempo arbeiten. Dies wiederum senkt den Energieverbrauch je Wäschestück. (…)
  • Der Higg-Materials Sustainability Index, der Kategorien wie globale Erwärmung, Eutrophierung (Nährstoffübersättigung), Wasserverbrauch, knappe fossile Energieträger und Chemikalien berücksichtigt, zeigt für Polyester über alle Herstellungsphasen hinweg einen niedrigen Gesamtwirkungsgrad von 44. Für Baumwolle liegt der Wert bei 98, also deutlich höher.
  • Polyesterfasern sind optimal für Warnkleidung geeignet, da die benötigten fluoreszierenden Farbstoffe eine hohe Licht- und Waschechtheit haben. Die synthetische Faser hat außerdem eine hohe Chemikalienbeständigkeit, weshalb sie auch bevorzugt für Chemikalienschutzkleidung eingesetzt wird.
  • Ohne Aramide sind weder multifunktionelle Schutzleidung noch schusssichere Westen realisierbar.

Was tun?

Neben einer verbesserten Textilgestaltung spielen Abwasseraufbereitungsanlagen in den Textilservice-Betrieben sowie Kläranlagen als Eintrittsbarriere von kleinsten Kunststoffteilchen in die Umwelt eine wesentliche Rolle. Systeme, die nach dem Ultrafiltrationsprinzip arbeiten, sind dabei besonders wirkungsvoll, denn deren Trenngrenze stellt sicher, dass aus den behandelten Abwässern kein Mikroplastik in die Umwelt freigesetzt wird. Damit werden also nicht nur Fasern und Faserreste aus dem Abwasser entfernt, sondern auch verkapselte Duftstoffe, die in mancher Wäscherei als "Geruchsverbesserer" eingesetzt werden. Aufgrund ihrer minimalen Partikelgröße zählt man auch sie zu Mikroplastik.

Textilservice-Betriebe haben nur einen geringen Einfluss auf die Freisetzung von textilem Mikroplastik. Die Branche kann trotzdem etwas gegen das Kunststoff-Problem unternehmen. Wir haben uns umgehört und einige Vorschläge und Forderungen aus Verbänden, Zulieferunternehmen und Instituten zusammengetragen.

Allgemeine Forderungen

  • Eine allgemeingültige, verbindliche Definition des Begriffs Mikroplastik festlegen. (Bisher werden darunter üblicherweise Partikel unter 5 mm Durchmesser verstanden).
  • Entwickeln einer bezahlbaren, reproduzierbaren, universellen Methode zur Abwasseruntersuchung.
  • Vermeidung von Kunststoffabfällen durch Minimierung von Plastikverpackungen und Verzicht auf Einwegverpackungen.

Verringerung von Reifenabrieb

  • Streckenoptimierung und effiziente Tourenplanung.
  • Einrichten einer Mitfahrbörse für die Mitarbeiter, Firmenfahrrad statt Firmenwagen.

Vorschläge für die Wäscherei

  • Reduzierte Verwendung von mikroverkapselten Duftstoffen.
  • Nutzung von Flüssigwaschmittel statt Pulver.
  • Bevorzugung qualitativ hochwertiger Textilien und Gewährleistung leasinggeeigneter Ware mit einer akzeptablen „Lebensdauer“.
  • Bestimmungsgemäßer Gebrauch der Bekleidung und Objekttextilien beim Kunden.
  • Einbau von geeigneten Filtersystemen in Abwasseraufbereitungsanlagen.
  • Regelmäßige Reinigung der Flusensiebe in Trocknern.

Ideen für die Hersteller von Berufskleidung und Objektwäsche

  • Konstruktion von Produkten nach Ökodesign-Prinzipien, die u.a. einen minimalen Austrag von Faserpartikeln durch Abrieb und Pflege berücksichtigen.
  • Verzicht auf Fleece-Qualitäten.
  • Verstärkter Einsatz von Fasern auf Basis nachwachsender Rohstoffe in der Berufskleidung, wie etwa Tencel.
  • Beibehaltung von Polyester-Baumwoll-Mischgeweben aufgrund einer höheren Abriebbeständigkeit und einer geringeren Mikroplastikabgabe (im Vergleich zu 100 Prozent Polyester).