Ist Baumwolle nachhaltig? Welche Alternativen gibt es? Jungdesignerin Gesine Jost aus Düsseldorf macht Mode aus Brennnesseln oder ausgemusterten Airbags. RWTextilservice hat sie in ihrem Atelier besucht und mehr über Upcycling, Produktion von Fasernessel u.a. erfahren.
Baumwolle ist der bedeutendste nachwachsende Textilrohstoff der Welt. Gut 25 Millionen Tonnen werden jährlich angebaut. Als vollständig biologisch abbaubare Naturfaser ist Nachhaltigkeit der Baumwolle somit quasi in die Wiege gelegt – eigentlich. Denn beim konventionellen Baumwollanbau wird z.B. viel über den Einsatz großer Mengen von Pflanzenschutzmittel diskutiert. Durch den kontrollierten biologischen Anbau von Baumwolle soll dies verhindert werden. Der Anbau erfolgt ohne synthetische und chemische Düngemittel sowie in einer gewissen Fruchtfolge. Das bedeutet, dass der Boden nicht einseitig genutzt wird und dadurch weniger an Nährstoffen verliert. Nur alle drei Jahre wird Baumwolle auf demselben Feld angepflanzt. Da beim biologischen Baumwollanbau die Böden einem geringeren Nährstoffverlust ausgesetzt sind, dörren sie auch weniger aus und müssen infolgedessen weniger bewässert werden als beim herkömmlichen Anbau. Denn auch über einen außerordentlich hohen Wasserbedarf beim Baumwollanbau wird ständig diskutiert.
Naturschonende Alternative zu Baumwolle
Welche Alternativen zu Baumwolle gibt es? Darüber hat sich auch Jungdesignerin Gesine Jost aus Düsseldorf Gedanken gemacht. Sie liebt die Natur ebenso wie die Mode und hat mit ihrer Kollektion aus ungewöhnlichen Materialien beides in Einklang gebracht. Auch wenn bereits aus dem frühen Mittelalter berichtet wird, dass Brennnesselfasern für Segel, Tauwerk und Bekleidung verwendet wurden, denkt man nicht als Erstes an Pullover, Strickjacken, T-Shirts, Röcke und Mäntel, wenn man das „Unkraut“ am Straßenrand oder im Vorgarten sieht. Der erste Gedanke richtet sich eher an die juckenden Quaddeln, die auf der Haut entstehen, wenn man mit den sogenannten Brennhaaren in Kontakt kommt. Weiter gedacht kommt man ggf. noch auf die heilende Wirkung von Brennnesseltee und den Einsatz des Suds gegen Blattläuse. „Brennnessel ist aber viel mehr als das und eine tolle naturschonende Alternative zu Baumwolle“, erklärt Jost, die Anfang 2016 eine Kollektion aus Stoffen mit Brennnesselfasern auf den Markt gebracht hat.
Forschungsprojekt zur Fasergewinnung
Gesine Jost sieht in der naturweißen Brennnesselfaser viel Potenzial. Zusammen mit dem Maschenstoffhersteller Mattes & Ammann arbeitete sie an einem Forschungsprojekt, in dem ein industrielles Verfahren für die Fasergewinnung und die Bekleidungstauglichkeit entwickelt wurde. Die Verarbeitung zu Stoffen aus 100 Prozent Brennnessel ist dabei eine Innovation. In einer Mischung mit Baumwolle, natürlich aus kontrolliert biologischem Anbau, oder mit Viskose lassen sich Stoffe vergleichsweise einfacher herstellen. Gemeinsam mit ihrem Projektpartner hat Jost die Brennnesselfasern so bereits zu weichen, leicht glänzenden, feinen und glatten Maschenstoffen verarbeitet und Anfang 2016 im Rahmen ihrer Masterarbeit im Fachbereich Design-Ingenieurwesen Mode an der Hochschule Niederrhein eine Kollektion unter ihrem Namen entworfen.
Mehr zu den Eigenschaften und der Pflegbarkeit der Brennnesselstoffe erfahren Sie auf der nächsten Seite.
Die von Jost eingesetzten Brennnesselstoffe haben eine gute Reißfestigkeit und können deshalb als besonders strapazierfähig und langlebig bezeichnet werden, was wiederum dem Nachhaltigkeitsgedanken gerecht wird. Diese Eigenschaften machen sich auch in Bezug auf die Pflege bemerkbar. Maschenstoffe aus einem Gemisch aus Brennnessel/Baumwolle oder Brennnessel/Viskose lassen sich in der Regel auf ähnlich unproblematische Weise pflegen wie Stoffe aus reiner Baumwolle bzw. Viskose. Auch das Feuchtigkeitsaufnahmevermögen ist mit den Fasern auf Zellulosebasis vergleichbar. Allerdings ist dabei zu beachten, dass diese neuartigen Stoffe keine chemischen Ausrüstungen erhalten, wie es bei Stoffen aus Baumwolle oft der Fall ist. Häufig werden z.B. Kunstharze verwendet, um die Pflegeleichtigkeit, insbesondere in Bezug auf das Bügelverhalten, zu erhöhen. Der Einsatz derartiger Chemikalien ist jedoch in dem Zusammenhang mit nachhaltiger Mode tabu.
Wiederverwertung statt Neuproduktion
Neben den vermehrten Überlegungen, Faserstoffe, die zunächst für den Einsatz in Bekleidungstextilen unüblich sind, für Mode einzusetzen, kommt auch dem Thema Upcycling ein immer höherer Stellenwert zu. Abfallprodukte bzw. nach der ursprünglichen Verwendung scheinbar nutzlose Stoffe werden aufgewertet und daraus neuwertige Produkte mit vollständig anderer Funktionalität hergestellt. Dieses Thema beschäftigt die Düsseldorferin Gesine Jost ebenfalls und sie gewann mit der Verwandlung von Schrott in tragbare Mode bereits 2012 den German Lifestyle Award. In der Kategorie „Nachhaltigkeit“ überzeugte sie mit ihrem Projekt „Materialtransformationen“. Bei dem von ihr verwendeten „Schrott“ handelt es sich z.B. um ausgemusterte Airbags. Sie stellt aus dem robusten, pflegeleichten Polyamidgewebe Lifestylejacken her. Zu ihrer Kollektion, die zur Ressourcenschonung und Energiereduktion beiträgt, gehören des Weiteren u.a. aus Anschnallgurten gefertigte Gürtel und Armbänder und diverse Accessoires aus Kabeln. Die Entwicklung weiterer Produktfunktionalitäten ist geplant.
Den vollständigen Artikel rund um nachhaltige Alternativen zu Baumwolle lesen Sie in der Mai-Ausgabe von RWTextilservice.