Im Gespräch "Altkleider sind kein Müll!"

Jährlich fallen allein in der EU 12,6 Millionen Tonnen Alttextilien an. Der Großteil davon wird als Müll verbrannt, als Second-Hand-Ware in Drittländer exportiert oder auf Deponien befördert. Wir sprechen mit Katja Wagner, der Co-Gründerin des bayerischen Recycling-Start-ups TURNS, und Jens-Uwe Müller, Betriebsleiter der südtiroler Industriewäschereien Haas und Wabes, über ihre Zusammenarbeit für einen nachhaltigen Faserkreislauf.

Die zwei Gründerinnen von TURNS: Katja Wagner (links) und Angelique Thummerer.
Die zwei Gründerinnen von TURNS: Katja Wagner (links) und Angelique Thummerer. - © Maria Bayer für TURNS

Nach Angaben der Europäischen Kommission entfallen allein auf Kleidung und Schuhe 5,2 Millionen Tonnen Abfälle in der EU, was 12 Kilogramm pro Person und Jahr entspricht. Derzeit werden nur 22 Prozent der Post-Consumer-Textilabfälle zur Wiederverwendung oder zum Recycling getrennt gesammelt. Das Unternehmen TURNS aus Schillingsfürst in Bayern will in Kooperation mit Textilherstellern und Wäschereien, wie der Firmengruppe Haas und Wabes aus Pfatten, Südtirol, die Situation grundlegend ändern.

Frau Wagner, können Sie uns TURNS genauer vorstellen?

Katja Wagner: TURNS ist ein erst im April 2023 gegründetes Unternehmen, das textile Kreislaufwirtschaft ermöglicht. Im "TURNS-faserkreislauf" nehmen wir Alttextilien an, sortieren diese und führen sie den passenden Recyclingtechnologien zu. Als Dienstleister sorgen wir für eine einfache Abwicklung der Altkleiderverwertung, damit das Beste aus jeder Faser so lange wie möglich im textilen Kreislauf gehalten wird.

Was war Ihre Motivation?

Als gelernte Textilbetriebswirtin habe ich hinter die Kulissen vieler Betriebe aus der Branche geblickt. So gut organisiert und nachhaltig die Unternehmen auch waren: keiner hatte eine wirklich ökologische Lösung zur Verwertung von nicht mehr tragfähigen Alttextilien. Als ich Angelique Thummerer, gelernte Softwareingenieurin und Mitgründerin traf, haben wir uns sehr angeregt darüber ausgetauscht, warum wir zum Mond fliegen, aber nicht aus einem alten Pullover einen neuen machen können. Nach dem Motto ‚Geht nicht, gibt’s nicht‘ haben wir mittels eines kleinen Crowdfunding-Projektes im Frühjahr 2022 versucht, aus gemischten Altkleidern ein Garn für neue Produkte herzustellen. Und es funktionierte.

Ein Appell in Sachen Nachhaltigkeit an die Textilbranche?

TURNS ist das Unternehmen, das nicht nur über Kreislaufwirtschaft als Konzept diskutiert, sondern schon heute eine echte Lösung für Altkleiderrecycling anbietet. Um die Textilbranche, den zweitgrößten Umweltverschmutzer der Welt, ökologischer aufzustellen, müssen wir vom Reden ins Tun kommen. Unternehmen, die sich dem "TURNS faserkreislauf" anschließen, leisten ihren Beitrag zur stofflichen Verwertung von Altkleidern und ermöglichen eine Textilherstellung mit deutlich geringerem Ressourcenverbrauch.

Gab es Herausforderungen bei der Umsetzung?

Das hochwertige Recycling von Textilien war nicht nur eine kurzfristige Herausforderung, sie wird es auch die nächsten Jahre noch bleiben. Hintergrund sind die unzählig vielen Fasermischungen, Ausrüstungen und Artikelarten, die eine automatisierte Sortierung auf hohem Niveau äußerst herausfordernd gestalten. Auch sind die nachfolgenden Verwertungstechnologien nicht umfänglich ausgereift, sodass der ganze Markt des Textilrecyclings noch ein enormes Forschungs- und Entwicklungspotenzial aufweist.

Welche Position nehmen B2B-Kunden bei der Produktion von neuen Textilien ein?

Zum derzeitigen Stand der Recyclingmöglichkeiten eine sehr hohe: im Regelfall nehmen Industriekunden gleichförmige Textilien in hohen Mengen ab. Dies passt sehr gut zu den Produktionsmengen, die im Regelfall ab 1000 Kilogramm Rohmaterial beginnen.

Seit 2016 als Betriebsleiter der Wabes GmbH tätig: Jens-Uwe Müller.
Seit 2016 als Betriebsleiter der Wabes GmbH tätig: Jens-Uwe Müller. - © Haas-Wabes GmbH
Herr Müller, als Betriebsleiter der Wäschereigruppe Haas und Wabes stehen Sie schon über ein Jahr in Kontakt mit TURNS. Können Sie uns Vorteile aus der Zusammenarbeit im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz für das Wäschereiunternehmen nennen?

Jens-Uwe Müller: Wir sind hier in Italien umweltzertifiziert nach EN ISO 14001 und wollen Nachhaltigkeit nicht nur reden, sondern leben. Mittel- und langfristig könnten wir uns vorstellen, recycelte Artikel wiedereinzusetzen, die aus unseren alten Textilien zu neuem Leben erweckt worden sind. Es wäre schön, wenn wir beispielsweise einen Bettbezug, Geschirrhandtuch, Polo, Kittel und vieles mehr aus den TURNS-Garnen herstellen können. Wir hoffen mit dem Start-up-Unternehmen noch viele Ansätze zu finden, an die wir jetzt noch nicht denken.

Katja Wagner: Jens-Uwe Müller hat sich von Anfang an für unser Tun interessiert und den stetigen Kontakt gepflegt. Als junges Unternehmen sind genau diese ersten Einblicke in die Anforderungen und Wünsche der Kunden äußerst hilfreich. Auch andere Wäschereien, wie die Firma DBL Merk aus Zirndorf, haben uns hier direkt zu Beginn unterstützt und die ersten Produktentwicklungen ermöglicht.

In Balance: Aus alt mach neu

Katja Wagner: Die Zusammenarbeit mit den Unternehmen beruht dabei auf der Teilnahme des Kunden am Faserkreislauf. Das ermöglicht uns die Balance zwischen Altkleiderzufuhr und Weiterverarbeitung. Gleichzeitig erhöhen wir damit die Qualität der Eingangsware deutlich und vermeiden eine wahllose Ansammlung von minderwertigen Qualitäten. Die Firma Wabes liefert bereits Textilien an TURNS, sie reduzieren damit stark ihren ökologischen Impact – die Alternative zur Wiederverwertung bei uns wäre die thermische Verwertung.

Wie würden Sie denn den Nutzwert für Wäschereien beschreiben?

Katja Wagner: Die teilnehmenden Wäschereien haben eine ökologische Alternative zur Verbrennung, beweisen die Einhaltung der Abfallpyramide und sind Vorreiter für die rechtlichen Anforderungen hinsichtlich des EU-Green Deals. Putzlappenhersteller können nicht alle anfallenden Textilien – sei es wegen Datenschutz oder der Beschaffenheit der Textilien – verarbeiten, weshalb wir deren ‚Rest‘ für eine stoffliche Verwertung nutzen.

Thema Effizienz und Wirtschaftlichkeit: Wie hat sich die Partnerschaft auf Ihre Wäscherei ausgewirkt?

Jens-Uwe Müller: Nachhaltigkeit ist nicht immer unbedingt sofort wirtschaftlich, das wissen wir alle. Aber in Zukunft kann ich mir schon vorstellen, dass die Entsorgung immer teurer wird. Wir wollen nicht entsorgen, sondern wiederbeleben. Vor allem aber die Umwelt ent- und nicht belasten. Wir können Alttextilien unsortiert zuschicken, die Sortierung wird von TURNS übernommen. Es wird nichts entsorgt, sondern ohne Chemieeinsatz verwertet, was uns gefällt. Das ist neu und entspricht unserer Vision von nachhaltiger Kreislaufwirtschaft.

Katja Wagner: Wir stellen den Wäschereien eine genaue Auflistung der eingespeisten Artikel zur Verfügung, inklusive Faserzusammensetzung. Daraus lassen sich Rückschlüsse auf herstellerunabhängige Standzeiten ermitteln. Aufgrund der Faserzusammensetzung, die wir ermitteln und den Wäschereien als Report zukommen lassen, wird ersichtlich ob Artikel mit einer gewissen Fasermischung schneller ausgewechselt werden müssen als andere. Systemisch können Wäschereien meist nur die Warenmenge eines Herstellers oder eines Kunden analysieren, nicht aber die Auswirkung der Faserzusammensetzung auf die Tragedauer.

Wie kann ein Wäschereibetrieb wie beispielsweise Haas/Wabes dazu beitragen, den Einsatz von Recycling-Materialien in der Textilbranche zu fördern?

Katja Wagner: Großunternehmen, insbesondere Wäschereien, können der Kommunikationskanal und die Werbeplattform für Recyclingfasern sein. Die Industriewäscherei ist per se ein kreislauffähiges Wirtschaftsmodell. Das Nutzen der Alttextilien als Rohstoffe für neue Textilprodukte schließt den Kreislauf komplett.

Jens-Uwe Müller: Indem man die Kunden sensibilisiert, dass es Sinn macht in die Kreislaufwirtschaft einzusteigen. Damit tun wir nachhaltig Gutes für unseren Planeten. Ich kann nur jedem empfehlen, darüber nachzudenken ohne Chemie zu recyclen. Da wir mit der Firma Haas in der Lavantexgruppe sind, einem Service-Verbund aus mittelständischen Wäschereien, werden wir uns dort auch mit anderen Mitgliedern weiter über das Thema austauschen.

Gibt es Möglichkeiten für andere Unternehmen, sich an Ihrer Kreislaufwirtschaft zu beteiligen?

Katja Wagner: Alle Unternehmen, die Textilien wie zum Beispiel Mitarbeiterkleidung haben, können Teil des "TURNS faserkreislaufs" werden. Und wer keine Alttextilien hat: bald werden unsere ersten Artikel aus TURNS Garnen aus regional gesammelten Alttextilien in den Verkauf gehen. Wir freuen uns auf die Rückmeldung und den Beweis, dass Textilien aus Rezyklat auch eine Nachfrage am Markt haben.

Die Chance für eine verantwortungsbewusstere, textile Zukunft?

Katja Wagner: Die bisherigen Geschäftspraktiken am Markt haben dazu geführt, dass Alttextil ein wertloser Rohstoff ist. Es benötigt hier ein neues Kostendenken: Die Recyclingtechnologien werden zukünftig dafür sorgen, dass Alttextil ein Wertstoff sein kann. Bis wir aber an diesen Punkt kommen, sind hohe Entwicklungsaufwände nötig. Textiler müssen mutig genug sein, Produkte aus Rezyklat zu verkaufen und die etwas anderen Produkteigenschaften gezielt zu vermarkten.

Der "TURNS faserkreislauf" step-by-step.
Der "TURNS faserkreislauf" step-by-step. - © TURNS
Recycling als Standardverfahren? Was braucht es künftig dafür?

Katja Wagner: Zum einen müssen die Abläufe für Textilunternehmen deutlich vereinfacht werden, damit nicht jedes Unternehmen eine eigene Recyclinglösung entwickeln muss. Dies bilden wir mit unserem Faserkreislauf ab. Zum anderen müssen die Qualitäten der Endprodukte weiter verbessert werden, wozu eine enge Zusammenarbeit mit Forschung und Wissenschaft nötig ist.

Wie reagiert die Industrie auf die vorgestellten Ansätze?

Katja Wagner: Die Textilindustrie ist produktionsseitig sehr preissensibel. Während die Marketingbudgets stetig erhöht werden, wird am Rohstoff gerne gespart. Das spüren wir.

Welche Position nimmt Ihre Firma bei der Sensibilisierung von Verbrauchern ein?

Katja Wagner: Wie wir feststellen: eine Große. Warum? Mit dem Recycling von Altkleidern verbindet der Verbraucher als erstes Malervlies. Dass hochwertige und langlebige Textilien aus den Fasern von Altkleidern gewonnen werden können, ist der Allgemeinheit nicht bewusst. Wir benötigen also mehr Wissen in der Bevölkerung, um den Absatzmarkt für Recyclingfasern zu erhöhen.

Herr Müller, wie reagieren Ihre Kunden auf die Verwendung von Recycling-Materialien in den Textilien?

Jens-Uwe Müller: Wir haben schon andere Textilien mit recyceltem PES im Einsatz. Der Kunde nimmt es zur Kenntnis, ist am Anfang eher skeptisch wegen einem möglichen Warenausfall bezogen auf Haptik, Handling, Waschzyklenanzahl und der Haltbarkeit.
In Italien sind wir die ersten beiden Betriebe die RAL 992 zertifiziert sind und somit schon nachhaltig waschen und bearbeiten. Wir wollen nun auch mit Recycling-Textilien als Pioniere an den Markt gehen und unsere Kunden über dieses innovative Konzept informieren. Besonders durch die Firma Haas, da diese am freien Markt tätig ist. Der Wabes GmbH sind da eher die Hände gebunden, aber wir werden es in den Krankenhäusern kommunizieren.

Wie wird sichergestellt, dass die Garne gleichwertig zum Ursprungsmaterial sind?

Katja Wagner: Die TURNS Garne weisen im Regelfall einen Anteil von 10 bis 30 Prozent Recyclingfaser auf, der Rest besteht aus Frischfasern. Dies ermöglicht eine gleichwertige Lebensdauer, auch wenn die Recyclingfasern bisher noch etwas kürzer sind als Frischfasern. Höhere Anteile sind zwar technisch möglich, führen aber zu Qualitätseinbußen. Grundsätzlich gilt: Umso höher die Qualität der Alttextilien ist, umso höher kann auch der Anteil der Recyclingfaser sein. Garne aus Rezyklat weisen derzeit noch einige Besonderheiten auf, die der Kunde akzeptieren muss. Derzeit können wir noch nicht alle Farbtiefen abbilden. Dies bedeutet, dass wir leuchtende Farben wie Neon nicht herstellen können.

Hier laufen die Fäden zusammen: Die TURNS-Garne bestehen aus unterschiedlichen Zusammensetzungen, je nach Gebrauch.
Hier laufen die Fäden zusammen: Die TURNS-Garne bestehen aus unterschiedlichen Zusammensetzungen, je nach Gebrauch. - © Maria Bayer für TURNS
Im Vergleich zu herkömmlichen Garnen, was macht das "TURNS One Third Garn" besonders?

All unsere Garne haben einen Vorteil: sie benötigen bei der Herstellung deutlich weniger Wasser. Unsere Garne werden nicht gefärbt, jedoch nach Farbe sortiert. So bieten wir Farbschattierungen an und verzichten auf den wasserintensiven Färbeprozess. Hat man im Hinterkopf, dass die Textilindustrie 20 Prozent der weltweiten Wasserverschmutzung verursacht, ist dieses Argument ausschlaggebend.

Wie sieht es mit Qualitätsstandards aus?

Unsere Produkte durchlaufen die üblichen Qualitätstests und werden sowohl auf Schadstoffe als auch auf Echtheiten geprüft. Die größte Herausforderung ist die Konstanz der Garne über Jahre hinweg zu gewährleisten.

Ihre Vision für die Zukunft?

Künftig werden Altkleider kein Müll, sondern Rohstoff sein. Nur mit der Nutzung vorhandener Ressourcen und damit der Minimierung des Ressourcenverbrauchs wird eine neue Textilindustrie möglich. Seit Jahren wird über die Reduzierung von Flugreisen, Kreuzschifffahrten, über vegane Ernährung und die Auswirkung des Avocadoanbaus gesprochen. Textil bleibt im ökologischen Kontext viel zu wenig beleuchtet. Das wird sich ändern müssen. Die Anforderungen des EU-Green Deals werden hoffentlich tatsächlich umgesetzt und werden den Druck auf ein ökologischeres Wirtschaften erhöhen.

Was sind die nächsten Schritte für TURNS?

Die Teilnehmer des Faserkreislaufs werden täglich mehr und somit auch die Vielfalt der Eingangsware. Das ermöglicht uns neue Produktentwicklungen um noch mehr Fasern für neue Garne nutzen zu können.

Über Wabes

Im Jahr 2000 gründete der südtiroler Sanitätsbetrieb gemeinsam mit dem Familienunternehmen Industriewäscherei Haas GmbH, das seit 72 Jahren besteht, die Wabes GmbH. Die Gesellschaft mit öffentlicher und privater Beteiligung kümmert sich um die Reinigung der in den Krankenhäusern anfallenden Flachwäsche und Arbeitsbekleidung. Bei der Industriewäscherei Wabes handelt es sich somit um eine Mischgesellschaft mit öffentlicher (südtiroler Sanitätsbetrieb) und privater (Haas GmbH) Beteiligung bei öffentlichem Mehrheitskapital.