Nanotechnologie Angst vor dem Unsichtbaren?

Der Begriff Nanotechnologie ist auch für die Textilbranche kein Fremdwort mehr. So spricht man z.B. von intelligenter Kleidung, die Schmutz abperlen lässt. Doch was verbirgt sich wirklich hinter der Vorsilbe Nano? Welche Chancen und welche Gefahren bietet die neue Technologie?

Vorbild Natur: Wie Tau an Blütenblättern perlt der Schmutz von nanobeschichteten Textilien ab. - © Heinz Wack

Angst vor dem Unsichtbaren?

Manchmal machen uns unsichtbare Dinge Angst. Dinge, die man nicht anfassen kann und mit dem bloßen Auge nicht erkennt, sind vielen unheimlich. Vielleicht auch unverständlich. Oft sind unsere Ängste unbegründet und werden durch Unwissenheit noch verstärkt. EinseitigeBerichterstattung kann dann zur Panikmache führen. Ein Beispiel ist die Diskussion um die möglichen Gefahren von Mobilfunkmasten oder -telefonen.

Und auch in der Textilbranche gibt ein Thema Anlass, nachzudenken und mögliche Risiken, aber auch Chancen zu hinterfragen: die Nanotechnologie. Als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts bezeichnet, wird ihr ein großes wirtschaftliches Potenzial nachgesagt. So schreibt das Bundesministerium für Bildung und Forschung, dass nach Einschätzung der Experten bis 2015 in allen Industriezweigen mit nanotechnologischen Komponenten bzw. Verfahren gearbeitet wird. Zu den wichtigsten Bereichen zählen dabei Elektronik, Chemie, der Automobilbau, die optische Industrie und der Gesundheitsbereich. Mögliche Risiken für die Gesundheit oder Umwelt seien bisher noch nicht erforscht.

Der Begriff Nano stammt aus dem Griechischen und bedeutet Zwerg. Die Vorsilbe Nano ist mit einem Milliardstel gleichzusetzen. Das heißt, dass ein Partikel mit einem Durchmesser von einem Nanometer einen Milliardstelmeter klein ist. Die Nanotechnologie erschließt uns demnach die Welt der kleinsten Dinge. Sie soll Strukturen, Geräte und Systeme schaffen, die aufgrund ihrer geringen Größe über neue Eigenschaften und Funktionen verfügen. Doch Nanotechnologie läuft Gefahr, ein Modewort zu werden. Nicht alles, was als „Nano“ gekennzeichnet ist, ist auch wirklich Nano. Die Unternehmen überschlagen sich bei der Werbung um Produkte, die angeblich Nano „enthalten“. Im Report Summary Issue 66 des Unternehmens Technical Textile Markets schreibt Robin Anson über Nanotextilien als „Realität oder Modewort“ („reality or buzzword“). Viele Produkte, die den Begriff Nano im Titel hätten, würden sich auf Partikel mit der Größe von 1200 Nanometern beziehen. Diese seien allerdings zu groß, um unter die Definition Nanotechnologie zu fallen, die Materien beschreibt, die geringer als 100 Nanometer sind.

Auch die Hohensteiner Institute haben das Problem der ausgelobten Wirkprinzipien erkannt, das Handel und Verbraucher verunsichert. Im Mai 2005 haben die Hohensteiner Wissenschaftler in Zusammenarbeit mit Nano Mat, einem Netzwerk verschiedener Forschungseinrichtungen und Anbieter von Nanomaterialien, eine Definition gefunden, die sich auch auf den textilen Bereich anwenden lässt. Damit ein textiles Produkt das Hohensteiner Qualitätslabel führen darf, reicht es nicht aus, wenn Nanopartikel im Inneren der Fasern eingelagert sind oder diese von einer nanoskaligen Beschichtung (Nanofilm) umschlossen werden. Vielmehr müssen die Nanopartikel- oder -schichten in oder auf dem Textil systematisch angeordnet sein und nachweislich zu einer neuen Funktion führen.

Im Bereich der Textilien spricht man auch von Kleidung, die Schmutz ignoriert – von Materialien, die mitdenken. Diese Eigenschaft basiert auf dem so genannten „Lotuseffekt“: An den Beschichtungen aus Nanopartikeln perlen Schmutz und Wasser wie bei einer Lotusblüte ab. Man könnte sich also folgende Situation vorstellen: Ein Geschäftsmann gießt sich aus Versehen – eine halbe Stunde vor einem wichtigen Meeting – Kaffee über seinen Anzug. Was tun? Wenn wir davon ausgehen, dass der Anzug mit einer Nanobeschichtung veredelt ist, schüttelt der Geschäftsmann die Kaffeeflecken einfach aus. Das Meeting ist gerettet – ein Vorteil für den Geschäftsmann.

Aber was ist mit den Textilreinigungen? Man könnte denken, eine Reinigung würde überflüsssig, wenn die Kleidung sich von selbst reinigt. Die Brinkmann-Gruppe, Herford, bietet mit der Marke Bugatti genau solche Kleidungsstücke an. Wilfried Bäuning, Qualitätsmanager bei Bugatti, sieht für die Reinigungen aber keine Veränderungen. „Für unsere Kunden ist die Nanoausrüstung ein aktiver Schutz gegen Flecken. Kleidungsstücke sind somit z.B. gegen Spaghettisoße gewappnet. Mit dem Abspülen der Flecksubstanzen verhindert man das Schlimmste und der Fleck ist weg.“ Je nach Grad der Verschmutzung sei aber die Textilpflege auch bei Nanoprodukten unumgänglich, nur eben zeitversetzt. „Wir empfehlen unseren Verbrauchern, dass sie unsere hochwertigen Kleidungsstücke von Fachleuten mit entsprechendem Know-how pflegen lassen. Hier erhalten die Kleidungsstücke durch eine fachgerechte Aufbereitung und Bügelei die erforderliche Passform und Optik.“

Auch Dr. Jan Beringer von den Hohensteiner Instituten ist der Meinung, dass die Reinigung der Kleidung nicht überflüssig wird: „Die nanobeschichteten Kleider benötigen weiterhin eine Wiederaufbereitung – Reinigung, Nassreinigung, Wäsche – da z.B. Gerüche oder feste Verschmutzungen wie Schokoladenflecken, Erde oder Grasflecken ein Nanotextil genauso verschmutzen wie eine gewöhnliches Textil (Einreiben/Eindrücken der Flecksubstanz in das Gewebe).“

Nanotextilien sind laut Dr. Beringer lediglich auf flüssige Verunreinigungen wie Wein-, Ketchup- oder Kaffeeflecken ausgerichtet. Aber: „Bisher haben wir noch kein Produkt gefunden, das mehrere gewerbliche/industrielle Wäschen oder gar eine Reinigungsbehandlung in organischen Lösungsmitteln (Per, KWL) übersteht“, sagt Dr. Beringer. Das liege im Fall der gewerblichen Wäsche an der wesentlich stärkeren mechanischen Beanspruchung der Textilien im Waschprozess (Taktwaschanlagen) und im Fall der Reinigung an den ausgezeichneten Lösungseigenschaften der verwendeten organischen Lösungsmittel.

„Hier wird sozusagen neben den Verfleckungen auch gleich die Nanobeschichtung entfernt bzw. abgelöst“, erklärt Dr. Beringer. Im Gegensatz dazu gebe es schon Produkte auf dem Markt – auch mit Hohensteiner Zertifizierung (Hohensteiner Qualitätslabel Nanotechnologie) – die 50 oder mehr Haushaltswäschen problemlos überstehen. Auch Büfa, Hersteller von Textilpflegeprodukten, hat festgestellt, dass der ausgelobte Effekt „diese T-Shirts lassen sogar Kaffee einfach abperlen, ohne Spuren zu hinterlassen“ bereits nach drei Nassreinigungs- bzw. Textilreinigungszyklen deutlich verlorengeht.

Aber die Entwicklung geht weiter. So forscht Hohenstein zurzeit an der Nassreinigung von nanobeschichteten Textilien. Dazu Dr. Beringer: „Die Untersuchungen zur Nassreinigung laufen gerade und in Kürze werden wir die Ergebnisse haben. Grundsätzlich lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt schon Folgendes sagen: Da eine Nassreinigung mit erhöhten Flottenverhältnis, sanfteren Waschmitteln und weniger Mechanik erfolgt, sollte eine Nassreinigungsbehandlung von nano-Textilien unter Funktionserhalt der Nanoausrüstung theoretisch möglich sein.“

Büfa sieht die Chance, die verlorengegangenen Nanoeigenschaften der Artikel durch Spezialverfahren – sowohl im organischen Lösungsmittel als auch im Wasser – so wenig wie möglich zu belasten.

Die Euphorie, was die Nanotechnologie betrifft, ist riesig, doch hinsichtlich möglicher Risiken für die Umwelt oder den menschlichen Organismus besteht noch Unwissenheit. In einem Vortrag bei den Hohensteiner Instituten referierte Prof. Harald F. Krug vom Institut für Toxikologie und Genetik am Forschungszentrum Karlsruhe über die möglichen Risiken für die Gesundheit. Seiner Meinung nach können Nanotextilien am Arbeitsplatz, während der Produktion, in technischen oder gar in medizinischen Anwendungen „Nebenwirkungen“ haben. Diese Nebenwirkungen sollte man genau gegenüber den Vorteilen dieser Materialien abwägen, bevor diese in Gebrauch genommen werden. Mehr Informationen zur Sicherheit und zu möglichen Gefährdungen seien notwendig. So ist Nanotechnologie auch ein Thema für die Bundesregierung. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung startete im März 2006 mit mehreren Unternehmen das Forschungsprojekt „Nano Care“, dessen Koordinator Krug ist. Innerhalb des Projektes sollen die Auswirkungen industriell hergestellter Nanopartikel auf Gesundheit und Umwelt untersucht werden.

In einem Interview sagte Krug der Hermoltz-Gemeinschaft, Berlin, im Mai 2006, dass man mit „Nano Care“ schon sehr früh – bereits während der Entwicklung dieser neuen Technologie – angefangen habe, gesundheitliche und umweltbezogene Risiken zu untersuchen. Nanopartikel kämen in die tiefsten Bereiche der Lunge und man müsse aufpassen, dass am Arbeitsplatz keine erhöhte Exposition stattfindet. Die mögliche Gefahr, die von diesen Nanopartikeln ausgehe, sei, dass sie sich in der Lunge anreichern. Ähnliches kenne man von staubbelasteten Arbeitsplätzen, wie z.B. der Arbeit unter Tage, bei der es eben zu staubbedingten Erkrankungen kommt.

Dr. Jan Beringer erklärte dagegen, dass nach bisherigen Erkenntnissen die von Hohenstein zertifizierten Produkte biologisch unbedenklich sind (geprüft nach den „Drei Hohensteiner Säulen der biologischen Unbedenklichkeit“ im Hohensteiner Institut für Hygiene und Biotechnologie).

„Die Beschichtung besteht aus Siliciumdioxyd (SiO2) – man könne auch sagen, sie bestehe aus feinem Sand. Lösen sich die Teilchen, dann sind sie größer als die ursprünglich verwendeten Nanopartikel.“ Das liege daran, dass sich die Teilchen im Ausrüstungsprozess zu größeren Verbünden vereinen und dann nicht mehr in der Nanoform/-größe vorliegen. Lisa Zeidler