Textilkennzeichnungsstandard GTIN: Der Zugriffsschlüssel

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Im Jahr 2021 hat der DTV gemeinsam mit der Gütegemeinschaft sachgemäße Wäschepflege e.V. und den Hohenstein Instituten einen GTIN-Standard für den Textilservice entwickelt. Nun soll dieser Standard schrittweise mit Textilherstellern, dem Textilservice und Softwareanbietern eingeführt werden. Martin Marx sprach mit Niklas Kuhnert vom "Mittelstand-Digital Zentrum WertNetzWerke", der bereits Erfahrung mit der Einführung des Standards in verschiedenen Branchen hat.

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Nun gilt es, den GTIN-Standard gemeinsam mit Textilherstellern, dem Textilservice sowie Softwareanbietern sukzessive einzuführen. - © mike166146 – stock.adobe.com

Zur Identifikation von Textilien werden heute oftmals einfache und unstrukturierte Zahlenreihenfolgen verwendet. Dies ist häufig historisch gewachsen und wird zumeist aus Gründen der vermeintlichen Einfachheit beim Einsatz neuer Technologien fortgeschrieben. Hierbei werden jedoch die Vorteile der Digitalisierung nur zum Teil oder noch gar nicht ausgenutzt.

Mit einer eindeutigen globalen Artikelnummer GTIN (engl.: Global Trade Item Number) kann jeder Artikel, in jeder Produktvariante weltweit eindeutig und überschneidungsfrei identifiziert werden. Durch das festgelegte Format und den Inhalt der GTIN ist die firmenübergreifende Verarbeitung sichergestellt und betriebsinterne Datenabgleiche zwischen Aggregaten unterschiedlicher Hersteller optimiert und vereinfacht.

Herr Kuhnert, welchen Nutzen habe ich als Wäscherei denn von der Einführung des Identifikationsstandards GTIN?

Niklas Kuhnert: Eine GTIN ist im Prinzip recht simpel aufgebaut. Sie besteht aus 12 Ziffern und einer Prüfziffer. Anhand der ersten 7 bis 9 Stellen kann das Unternehmen identifiziert werden. Die nächsten 3 bis 5 Stellen sind für die Artikel und Artikelvariantenkennzeichnung vorgesehen.

Wenn diese überschaubare Menge an Nummern an wichtigen betrieblichen Identifikationspunkten offline bekannt gemacht werden, wird keine Datenbankabfrage mehr benötigt, die oftmals der Engpass bei Pulklesungen sind (z. B. bei Flachwäsche).

Die GTIN ist zudem systemisch eindeutig und überschneidungsfrei. Das bedeutet, dass ich bei übernommener Wäsche, wenn diese ebenfalls den GTIN-Standard nutzt, keine Dubletten ins System bekomme, die die eigenen Bestände stören.

Darüber hinaus ist die GTIN ein Basisbaustein, um standardisierte, elektronische Nachrichten austauschen zu können. Seien es Ereignisdaten aus dem Prozess oder Geschäftsfall, Nachrichten wie Bestellungen, Lieferavise oder auch Rechnungen. Diese Interoperabilität eröffnet weiteres Potenzial bei späteren Digitalisierungsprojekten und vereinfacht die Dienstleister- oder Systemauswahl.

Was muss ich tun, wenn ich daran interessiert bin, den GTIN-Standard in meiner Firma einzuführen?

Der erste Schritt ist eine Prüfung, ob mein aktuelles Warenwirtschaftssystem in den Artikelstammdaten ein Attribut namens GTIN oder EAN aufnehmen kann. Die GTIN braucht dabei nicht die führende Artikelnummer im internen Prozess sein. Sie sollte aber in jeder Kommunikation mit anderen Unternehmen oder zum Kunden und für Prozessereignisse verwendet werden.

Im zweiten Schritt benötigt man eine Basis- bzw. Unternehmensnummer. In Deutschland gibt es diese von „GS1 Germany“. Mit dieser Basisnummer können alle benötigten Artikel- oder Lokationsnummern selbstständig gebildet werden. Darüber hinaus stehen weitere standardisierte Identifikationsnummern, wie zum Beispiel für wiederverwendbare Ladungsträger, mit dieser Basisnummer zur Verfügung.

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Martin Marx, Leiter des DTV-Arbeits- kreises Digitalisierung. - © Marx
Wie hoch sind die direkten und indirekten Kosten für die Einführung dieses Standards?

Am besten entnehmen Sie die Kosten für ein „Complete Paket“ der Webseite von GS1. Nur so viel: Die Kosten setzen sich aus einer einmaligen Bearbeitungsgebühr und einem jährlichen Beitrag, der sich am Unternehmensumsatz orientiert, zusammen. Als Beispiel bedeutet das für ein Unternehmen, das bis zu 100.000 Artikelnummern benötigt (die zu beantragende Basisnummer ist hier 5-stellig) und einen Jahresumsatz zwischen fünf und 25 Millionen Euro hat, derzeit einmalig 530 Euro Bearbeitungsgebühr und jährlich weitere 420 Euro.

Ich habe viele verschiedene Produkte und möchte z. B. für jede Produktgröße und -farbe einen eigenen Code haben. Habe ich genug Ziffern/Stellen zur Verfügung?

Mit einer Kapazität von 100.000 Artikeln und Artikelvarianten stehen zunächst einmal genug Nummern zur Verfügung, da wir uns noch nicht auf Einzelteilbasis bewegen. Diese Detaillierung kommt erst durch das Anfügen einer Seriennummer für jeden Einzelartikel hinzu. Grundsätzlich sollte man, wie bei jeder anderen Nummer auch, ein Konzept zur sinnvollen Nummernvergabe erarbeiten.

Ist meine aktuelle ERP-Software dafür schon ausgestattet?

Ein Blick in die Artikelstammdaten gibt schon einen ersten Hinweis. Wenn ein Attribut namens GTIN, EAN oder ähnlich vorhanden ist, ist das schon einmal eine wichtige Voraussetzung. Wenn intern eine andere Artikelnummer führend ist, ist es wichtig eine 1:1-Beziehung zwischen diesen Nummern herzustellen. Sieht das eigene System keine standardisierte Artikelnummer vor, so kann dies über eine Middleware abgebildet werden. Genauere Umsetzungsmöglichkeiten klären Sie am besten direkt mit Ihrem IT-Dienstleister.

Ich interessiere mich für die GTIN-Einführung nur für meinen Textileinkauf und/oder meine Lieferungen. Ich möchte meine alten Artikelcodes intern weiterverwenden. Wie kann ich das tun?

Im Hintergrund kann die eigene, interne Nummer führend bleiben. Nach außen empfehle ich die Verwendung der standardisierten Nummer sGTIN und eines empfohlenen Barcodes (z. B. im Druck der Patches für Flachwäsche/MBK). Da genau in diesen, unternehmensübergreifenden Prozessen die Stärke des Standards liegen.

Wenn ich GTINs in meinem Unternehmen einführe, bedeutet das, dass ich alle Produkte neu patchen/identifizieren muss?

Das hängt davon ab, ob Sie RFID-Kennzeichnung, Barcodekennzeichnung oder beide zusammen einsetzen wollen. Wenn Sie einen optischen Patch, also Barcode oder Klartext, einsetzen, kommen Sie um ein Umpatchen nicht herum. Wollen Sie ausschließlich einen UHF RFID Transponder zur Kennzeichnung nutzen, können Sie diesen einfach umschreiben, sofern der Chip nicht durch eine PIN geschützt ist bzw. Sie diese kennen. Sprechen Sie in diesem Falle Ihre UHF TAG Lieferanten an.

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Niklas Kuhnert, Mittelstand-Digital Zentrum WertNetz Werke. - © gs1
Was muss bezüglich der Nutzung von RFID beachtet werden?

Sie sollten sicherstellen, dass für die Identifikation der eigenen Wäschestücke auch die eigene Unternehmensnummer verwendet wird. Dies sind die ersten sieben bis neun Stellen einer GTIN, die das Unternehmen eindeutig identifizieren und einen Teil der weltweiten Eindeutigkeit sicherstellen. Grundsätzlich ist ein RFID-Chip ein Speichermedium, das ähnlich einem USB-Stick, Lese-, Schreib- und Löschzugriffe beliebig oft erlaubt und damit ermöglicht, im Pulk Wäsche zu kennzeichnen oder ein vorheriges Nummernsystem umzuschreiben, sofern Sie die Berechtigung haben.

Kann ich eigene GTINs vergeben, obwohl dies schon der Lieferant getan hat?

Im Bestellprozess sollte man die verschiedenen Möglichkeiten mit dem Lieferanten absprechen. Die erste Variante ist, dass es keine RFID-Kennzeichnung vom Lieferanten gibt. In diesem Fall bekommt das Wäschestück einen eigenen Patch mit Barcode und/oder RFID-Transponder von der Wäscherei.

Die zweite Möglichkeit ist, dass die Ware vom Hersteller/Großhändler mit einer eigenen Identifikation inclusive RFID-Transponder ausgestattet wird. Um diese Ware schon in der Basisnummer von der anderer Wäschereien zu unterscheiden, ist es notwendig, diese zu überschreiben. Dafür wird ggf. eine Berechtigung (PIN) benötigt. In diesem Fall ist es sinnvoll, eine Verknüpfung von der alten zur neuen Nummer in den Datenbanken abzulegen, um die durchgehende Rückverfolgbarkeit sicherzustellen. Im Idealfall bietet der Hersteller bereits die Möglichkeit, sowohl Barcodes als auch die RFID-Informationen nach Kundenvorgabe zu konfektionieren. Dies wäre die dritte Variante.

Ist die GTIN nur für Textilien oder auch für andere Bereiche sinnvoll?

Neben der GTIN für Produkte gibt es weitere sinnvolle Identifikationsnummern, die man mit den eigenen Basisnummern selbstständig bilden kann. Einige Beispiele sind Nummern für wiederverwendbare Ladungsträger (GRAI), Lokationen (z. B. der eigene Betrieb [GLN]), Inventar oder auch Trackingnummern für Versandeinheiten. Der Vorteil der GTIN liegt unter anderem in der branchenübergreifenden Verwendung, so kennen viele Krankenhäuser schon die GTIN, da sie ebenfalls für medizinische Geräte oder Pharmaprodukte genutzt werden.

An welcher Stelle und wie wird die GTIN generiert?

Optimalerweise wird die GTIN bei der Konfektion der Textilien generiert. Bei der Stammdatenanlage eines neuen Artikels kann ein Workflow innerhalb der ERP oder Middleware eine Nummer generieren.

Muss ich RFID einsetzen und nutzen, um die GTIN einzusetzen?

Nein, der Standard ist genauso in Klarschrift und Barcode einsetzbar.