Branchentreff Textilforschung Von Sollbruchstellen und KI

Ende November 2023 fand die Aachen-Dresden-Denkendorf International Textile Conference (ADD-ITC) statt. Schwerpunktthemen in Dresden waren "Künstliche Intelligenz (KI)", "Ressourcenschonung" und "Fachkräftemangel". R+WTextilservice war vor Ort.

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An den beiden Tagungstagen der ADC waren knapp 500 Teilnehmer nach Dresden gekommen. - © Sabine Anton-Katzenbach

Alle Jahre wieder treffen sich Forscher aus wissenschaftlichen Instituten, Studenten und Unternehmensvertreter in Aachen, Dresden oder Stuttgart, um sich über Entwicklungen in wichtigen Bereichen der Textilindustrie auszutauschen. Während der zweitägigen Veranstaltung bieten die ausrichtenden Institute ein umfassendes Vortragsprogramm, das um Posterpräsentationen aus den Hochschulen und eine Begleitausstellung ergänzt wird.

In Dresden eröffnete Dr. Chokri Cheriv, Direktor des Instituts Für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) die ADC 2023. Er begrüßte knapp 500 Teilnehmer aus Wissenschaft, Hochschulen und Industrie, und lud sie ein, sich über die jüngsten Ergebnisse der Textilforschung und aktuelle Trends auszutauschen.

Um was ging es ?

Das Vortragsprogramm war zukunftsweisenden Themen wie Mobilität, Medizintechnik, Raumfahrt und intelligenten Textilien, aber auch Trends gewidmet, die in aller Munde sind: KI gegen Fachkräftemangel und Recycling zur Verringerung der Kohlendioxid-Emissionen.

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Dr. Chokri Cheriv, Direktor des Instituts für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM), eröffnete die ADC in Dresden. - © Sabine Anton-Katzenbach

Zusätzlich wurde die Veranstaltung um Beiträge aus Indien, dem diesjährigen Partnerland der Konferenz, ergänzt. Das Land, das sich auf dem Weg vom Lieferanten zum Kunden macht, ist mit der hiesigen Textilindustrie eng verbandelt. Bei seinem Plenar-Vortrag machte Dr. S. K. Sundararaman, Mitglied der Southern India Mills’ Association deutlich, dass Deutschland Indiens größter Industriepartner ist und eine enge wissenschaftliche und wirtschaftliche Zusammenarbeit auf allen Ebenen der Textilproduktion anstrebt.

Auch die beiden folgenden Plenar-Vorträge beschäftigten sich mit Themen, die für die Entwicklung der Industrie von entscheidender Bedeutung sind: Recycling bzw. Ressourcenschonung und KI.

Sollbruchstellen für das Polymer-Recycling

Jährlich werden 60 Millionen Tonnen Polyesterfasern produziert, von denen mindestens 50 Prozent zu Bekleidung verarbeitet werden. Als Rohstoff dient Rohöl; aus ihm werden 98 Prozent aller Fasern gewonnen. Lediglich zwei Prozent werden aus biobasierten Quellen (z. B. Sonnenblumenöl) hergestellt. Die Polymerherstellung trägt zudem zu einem erheblichen Teil der Treibhausgasentstehung bei – unter anderem, weil ausgediente Bekleidung noch immer als Energiespender genutzt und verbrannt wird.

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Die Teilnehmer der ADC konnten sich in den Pausenzeiten an Postern über aktuelle Forschungsergebnisse informieren und den Austausch mit zahlreichen Forschungsinstituten suchen. - © Sabine Anton-Katzenbach

Um diese Rohstoffverschwendung zu unterbrechen, forscht das Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam an einer wirklichen Kreislaufführung von Kunststoffen: Die Wissenschaftler stellen Polymere aus natürlichen Ressourcen her (z. B. chemisch modifiziertes Sonnenblumenöl oder Algen), wandeln diese durch Defragmentierung unter Heißdampf-Bedingungen wieder in Monomere um und polymeren sie anschließend wieder zu Kunststoffen.

Dieser "Closed-Loop-Ansatz" (geschlossener Kreislauf) ist bereits am Polyethylen gelungen. Durch "Einbau" von "Bruchstellen" lassen sich verschiedene Polymertypen bereits wiedergewinnen. Diese vielversprechende Methode ist allerdings noch Zukunftsmusik: In der Umwelt befindliche und gebräuchliche Kunststoffe gehören zu einer Kategorie, in der keine Sollbruchstellen für eine Defragmentierung vorgesehen sind.

Allerdings gibt es Anlass zur Hoffnung: In Delitzsch entsteht mit europäischen Fördergeldern derzeit das Center for the Transformation of Chemistry (Zentrum für die Transformation der Chemie). Dieses soll unter anderem daran forschen, wie Rohöl beispielsweise durch die Verwendung von Abfällen ersetzt und der Ausstoß von Kohlendioxid-Emissionen verringert werden kann.

Farbstoffe aus der Natur

Der Verwendung alternativer Rohstoffe wird unter anderem auch für den Prozess des Färbens untersucht. Für die Kolorierung von Textilien wird sowohl mit pflanzenbasierten (z. B. Granatapfel, Walnuss-Schalen, Galläpfeln, Krappgewächsen) als auch mit insektenbasierten sowie fermentierten Naturstoffen gearbeitet. Bisher stoßen die Forscher allerdings noch an Grenzen. Einerseits lässt sich keine vollständige Farbpalette abbilden und die Farbausbeute variiert bei verschiedenen Materialien mitunter sehr deutlich. Andererseits ergeben Färbungen mit Naturfarbstoffen maximal eine Lichtechtheit von vier und reagieren zum Teil empfindlich auf oxidative Waschbäder. Für die Wäschereibranche sind solche Alternativen daher ungeeignet.

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Der androide Hund des CeTI wird über einen smarten Handschuh gesteuert. - © Sabine Anton-Katzenbach

Auf den Roboter-Hund gekommen

Branchenübergreifendes Interesse gilt hingegen der Digitalisierung, die aufgrund des Fachkräftemangels überall voranschreitet. Dem Feld der Automatisierung nimmt sich unter anderem das an der TU Dresden ansässige Center for Tactile Internet with Human-in-the-Loop (CeTI) (frei übersetzt: Zentrum für taktiles Internet mit dem Menschen in der Schleife) an. Die Forscher übersetzen soziale und analoge menschliche Fähigkeiten wie Hören, haptische Wahrnehmen und Berührung in die digitale Welt.

Mit androiden Hunden ist ihnen eine erste Umsetzung gelungen. Die Roboter-Wesen erhalten Befehle entweder durch eine Dashboard-Steuerung (anfänglicher Lösungsansatz) oder können durch smarte Handschuhe (Weiterentwicklung) gesteuert werden. Diese Systeme gehen, ebenso wie die dahinter stehendende KI, mit der Erzeugung exponenziell wachsender Datenmengen einher, für deren Verarbeitung es bei einer globalen Ausweitung der Robotik nicht annähernd genügend Energie und Prozessoren gibt.

Aufgabe der Forscher muss es daher sein, biologische Netzwerke und neue Plattformen für diese Aufgaben zu entwickeln. Diese dienen auch einem weiteren Zweck: Sie müssen die von Androiden gelieferten Daten in Windeseile in "Gefühlsregungen" transferieren – wie der Mensch es kann. Bei Berührungen von Materialien oder Oberflächen erkennt ein Mensch in Sekundenbruchteilen, worum es sich handelt.

Diese für taktile KI benötigte Geschwindigkeit ist über das Internet jedoch nicht abbildbar, es ist zu langsam. Bei einem Abstand von 25 Kilometern zwischen Sensor und Aktuator beträgt die Zeitverzögerung bereits eine Sekunde. Die Lösung des Übertragungsproblems sehen die Wissenschaftler des CeTI daher in der Errichtung (unternehmens-)eigener, nicht öffentlicher 5G-Netzwerke.

Was ist ein Aktuator?

Ein Aktuator ist eine Vorrichtung, die eine Bewegung erzeugt, indem sie Energie und Signale, die dem System zugeführt werden, konvertiert.

KI-Nutzung steht erst am Anfang

Science-Fiction-Filme kennen keine Grenzen, wenn es um die Nutzung von KI geht. Die Realität sieht allerdings noch anders aus. In der Industrie sind deren Einsatzmöglichkeiten noch begrenzt, wie das Fraunhofer Institut für integrierte Schaltungen aus Dresden ausführte. KI wird derzeit vor allem zur Fehlererkennung, zur Klassifizierung und Charakterisierung von Produkten (Daten) oder zur Vorhersage von Wartungen und Reparaturen genutzt. Sie soll zukünftig aber auch für die Produktentwicklung eingesetzt werden können.

In einem industriellen Forschungsprojekt wurde über die Technik des digitalen Zwillings versucht, neue Textilien ressourcenschonend und zeitsparend im virtuellen Raum zu entwickeln. Dafür wurden sämtliche Parameter des Textils bestimmt und in den digitalen Maschinen-Zwilling eingegeben. Mithilfe von KI konnten aus den Daten dann neue Produktideen generiert und in die Praxis übertragen werden.

Die Textilforschung in Deutschland

Von den rund 1.000 öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen in Deutschland beschäftigen sich 15 ausschließlich mit Textilien. Jedes dieser Institute verfolgt besondere Schwerpunkte, die sich auch am Programm der ADD-ITC ablesen lassen.

Dresden ist beispielsweise für die Forschung im Bereich des Textilmaschinenbaus, textiler Hochleistungswerkstoffe und medizinischen "Textilkörpern" bekannt. Die Institute in Denkendorf organisieren die nächste Konferenz. Sie deckt die gesamte textile Produktionskette ab und beziehen auch Unternehmensabläufe und Geschäftsmodelle in ihre Forschung ein.

Das Programm vom 21. bis 22. November 2024 verspricht, vielfältig zu werden.